„Ich hoffe auf Benazir Bhutto“

■ Interview mit dem im Londoner Exil lebenden pakistanischen Schriftsteller Salman Rushdie / Rushdie hat in seinem fantastisch-realistischen Roman „Scham und Schande“ das Ende des Diktators Zia antizipiert

Die taz veröffentlicht in ihrer Ausgabe vom Freitag das folgende Interview:

taz: Wie beurteilen Sie die momentane Lage in Pakistan?

Salman Rushdie: Sicherlich ist dies der Moment Benazir Bhuttos. Pakistan ist ein Land, in dem sämtliche demokratische Möglichkeiten seit mehreren Jahren mehr oder weniger abgewürgt worden sind. Jetzt gibt es fast unbegrenzte politische Möglichkeiten. Auf jeden Fall kann Benazir Bhutto im Moment am meisten von der Lage profitieren und mit dem größten Recht eine Art nationale Führungsposition beanspruchen. Ich hoffe auf sie.

Was halten Sie von den internationalen Reaktionen auf den Tod Zia Ul Haqs?

Das sind die ersten Reaktionen. Ich hoffe, daß es nicht dabei bleibt. Es ist im Moment sehr unwahrscheinlich, daß irgendein Militär das Land mit militärischer Gewalt zusammenhalten kann. Besser wäre es - und darauf hoffe ich wenn die USA stabile Verhältnisse durch eine demokratische Lösung herbeiführen würden. Diese Lösung könnte im Moment nur das Bündnis unter Benazir Bhutto sein.

Ich glaube, die kritische Frage ist im Moment die Reaktion der USA. Ich fürchte, das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, daß Reagan oder Bush oder wer auch immer einen anderen General finden, der Zia ersetzen kann.

Glauben Sie, daß Washington Benazir Bhutto und ihrer Politik vertrauen würde, insbesondere in Bezug auf Afghanistan?

Ich glaube nicht, daß die zivilen Politiker in Pakistan gegenüber Afghanistan eine deutlich andere Politik verfolgen werden als die Militärs. Washington dürfte sich darauf konzentrieren, wie es eine langfristige Lösung finden kann. Und Tatsache ist, daß Pakistan tief ins westliche Bündnis verflochten ist. Die USA haben von einer zivilen Option für Pakistan nichts zu befürchten, sondern viel zu gewinnen.

Müßte die Politik gegenüber Afghanistan nicht auch unter dem Aspekt des Verhältnisses zu Indien betrachtet werden?

Die Beziehungen zu Indien waren in der letzten Zeit sicherlich sehr schlecht, und sie verschlechterten sich noch. Ich halte Rajiv Gandhi für schwach, und die pakistanische Regierung jetzt natürlich auch. Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, daß die eine oder andere Seite einen Vorwand fände, um den Konflikt zu erneuern. Vielleicht wird die Armee in Pakistan dies als einzige Möglichkeit sehen, um zu überleben. Ich habe gute Kontakte nach Indien und Pakistan und war von daher natürlich immer dafür, den Konflikt zu entschärfen.

Glauben Sie, daß sich die Situation der Menschenrechte nach einem Machtwechsel grundlegend ändern wird? Auch unter Bhutto wurden Dissidenten inhaftiert und gefoltert.

Ich war bereits ein harter Kritiker der Menschrechtssituation unter der Regierung Bhutto, und ich habe meine Meinung nicht geändert. Ich denke, das Zia-Regime war genauso schlimm - mit der Verschärfung, daß es eine eigenartige Version des Islam dazu benutzte, seine Menschenrechtsverletzungen zu legitimieren. Alle Hoffnungen hängen an der Frage, ob das Regime der Generale überlebt oder nicht und ob das Programm der Islamisierung schnell rückgängig gemacht wird.

Das Islamisierungsprogramm wurde von oben aufgezwungen. Es genießt meiner Meinung nach keine breite Unterstützung in der Bevölkerung. Das heißt nicht, daß Pakistan sich gegen den Islam aussprechen würde, das sicherlich nicht. Aber die besondere Version des Islam, die in der letzten Zeit propagiert wurde, sähen die meisten doch gerne abgeschafft.

Sie lassen Ihren Roman „Scham und Schande“ mit einer apokalyptischen Vision enden. Spielen Sie auf die „islamische Bombe“ an, an der Pakistan seit Jahren bastelt?

Nun ja, das Ende eines Romans ist das Ende eines Romans. Natürlich bin ich davon überzeugt, daß Pakistan über Atomtechnologie verfügt. Ich bezweifele zwar, daß es bereits eine Atombombe hat, aber sicherlich verfügt es über die Möglichkeiten, eine zu bauen. Dasselbe gilt natürlich für Indien. Und das macht die Region natürlich explosiver.

Geben Sie Benazir eine reale Chance, an die Macht zu kommen?

Absolut. Wenn es tatsächlich freie Wahlen in der nahen Zukunft geben sollte, steht für mich außer Frage, daß Benazir eine Mehrheit erhält. Aber sie wird große Schwierigkeiten haben, die Opposition zusammenzuhalten. Es hängt alles davon ab, wie sie die Situation in den nächsten Wochen behandelt. Zur Zeit bemühe ich mich, das Beste zu erwarten - aber es ist in Pakistan immer leicht, das Schlimmste vorauszusagen und recht zu behalten.

Das Fehlen einer militärischen Herrschaft und der Rückzug von der islamischen Ideologie könnte für eine zivile Regierung bedeuten, daß ihr die Legitimation fehlt.

Für jede zivile Regierung gilt, daß sie sich in irgendeiner Weise mit dem Militär arrangieren muß, denn das ist in der pakistanischen Politik immer ein Faktor. Und ebenso ist eine völlige Abkehr vom Islam unmöglich. Aber Benazir ist in dieser Hinsicht bisher sehr vorsichtig gewesen. Kurzfristig steht jede zivile Regierung vor der ungeheuren Aufgabe, in Pakistan wieder einen modernen Staat einzuführen.

Das ist keine ideologische Aufgabe, es hat nichts mit rechts oder links zu tun, es hat nur damit zu tun, die Ruinen des demokratischen Staates wieder instandzusetzen.

Das Interview führte Simone Lenz