piwik no script img

Altenbetreuung vorm Kollaps

■ Mindestens 8.300 alte Menschen in Bremen auf Hilfe angewiesen / Dienstleistungszentren der Wohlfahrtsverbände völlig überfordert

Elf Dienstleistungszentren mit sieben Außenstellen, die sich in Bremen um die ambulante Betreuung älterer Menschen kümmern, stehen vor dem Zusammenbruch. Der Grund: Immer mehr Menschen in Bremen werden immer älter und brauchen immer mehr Hilfestellung, um sich im Alltag zurechtzufinden. Während der Bedarf an sozialer Betreuung rapide wächst, stagniert die Zahl der MitarbeiterInnen in den Zentren.

8.295 Ältere baten allein im letzten Jahr um Hilfe. Zwar möchte keine und keiner von ihnen die vertauten vier Wände verlassen und ins Altenheim umziehen, aber ohne Hilfe beim Einkaufen, Fensterputzen und Mülleimer runterbringen kommen die meisten auch nicht mehr aus. Organisiert von den Dienstleistungszentren der freien Wohl

fahrtsverbände arbeiteten 3.500 ehrenamtliche oder halbprofessionelle HelferInnen im letzten Jahr 885.288 Stunden in den Haushalten älterer Nachbarn, fast doppelt so viele wie noch 1986. Jetzt sind sämtliche Kapazitäten ausgeschöpft, die ein bis zwei hauptamtlichen MitarbeiterInnen pro Zentrum völlig überfordert. Jeder von ihnen betreut rund 100 ehrenamtliche HelferInnen, organisiert deren Ausbildung, stellt Kontakte zwischen ihnen und hilfsbedürfigen Alten her.

„Die Grenze der Belastbarkeit ist erreicht“, klagte gestern Karin Schütz von der Arbeiterwohlfahrt stellvertretend auch für die KollegInnen vom Caritas-Verband, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband und dem Roten Kreuz. Nur ein Beleg für den Dauerstress in den Dienstleistunszentren: Zum Teil haben sie sich - neben

dem offiziellen Telefonanschluß - Geheimnummern zugelegt. Damit die Mitarbeiter überhaupt noch zum Arbeiten, zu persönlichen Beratungsgesprächen und Hausbesuchen kommen, antwortet nachmittags ein Anrufbeantworter den Rat-und Hilfesuchenden. Für Notfälle steht besonders Pflgebedürftigen die Geheimnummer zur Verfügung.

In der Sozialbehörde hat man das Problem zwar erkannt, aber offensichlich nicht das Geld, um es auch nur einigermaßen zu lösen. Während die Wohlfahrtsverbände mindestens drei hauptamtliche Stellen für jedes Dienstleistungszentrum und den Ausbau der bisherigen Nebenstellen zu Voll-Zentren fordern, befürworten die senatorische Behörde und die Deputation für Soziales jetzt die Aufstockung des bisherigen Etats von 2,7 Millionen um

400.000 Mark pro Jahr. 7,25 Stellen wären daraus zusätzlich zu bezahlen. Forderung der Verbände: Mindestens 18 Stellen. Dazu ein langfristiges Konzept für die ambulante Versorgung Älterer Menschen in Bremen, um das alljährliche Tauziehen um die eine oder andere zusätzliche Stelle zu beenden und auf gesicherten Grundlagen für die Zukunft planen zu können.

Von solchen Zielen ist die Sozial-Behörde zur Zeit allerdings noch weit entfernt. Nicht einmal die von der Sozialdeputation bereits abgsegneten 7,25 Zusatz-Stellen sind bislang gesichert. Der Haushaltsausschuß der Bürgerschaft hat die Forderung vorläufig zurückgwiesen.

K.S.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen