: Das „andere Amerikabild“ im Programm
■ Nur drei Millionen DDR-Bürger werden in den „Genuß“ des deutsch-amerikanischen RIAS-TV kommen
Am Montag um 17.50 Uhr startet nach langjährigem Tauziehen der RIAS mit seinem ersten Fernsehprogramm. Ausgestrahlt wird zunächst die Sendung „Tagesaktuell“. Ab 3. Oktober folgt das RIAS-Frühstücksfernsehen. Auf Sendung geht damit nicht nur ein bundesrepublikanischer Anachronismus, sondern auch ein Staatssender, den es laut Verfassung gar nicht geben darf. Nach den Erfahrungen aus der Nazizeit sollte der hiesige Rundfunk staatsfern organisiert sein. Wie es dennoch zur Realisierung des umstrittenen Projektes kam - die SPD zweifelte bereits die Erfüllung des Programmauftrages an, und der 'Tagesspiegel‘ zog bislang vergeblich vor Gericht -, beschreibt der folgende Bericht.
Mit 24 Kabelprogrammen und sieben über Antenne empfangbaren Programmen ist Berlin die am üppigsten ausgestattete Fernseh -Region Deutschlands. Dennoch schrieb RIAS-Intendant Rohe im November 1986 an den Kabelrat, das bestehende Angebot sei „kein Ersatz für ein Programm, das sich gezielt an die Deutschen in der DDR wendet“. Damit knüpft Rohe nahtlos an die über 42jährige Tradition des RIAS-Hörfunks an.
Der Sender wurde am 22. November 1945 auf Befehl von Colonel Westerfield - damals noch unter der Bezeichnung DIAS (Drahtfunk im amerikanischen Sektor) - gegründet. Sein Verständnis als „freie Stimme der freien Welt“ findet sich wortgetreu in dem im November '86 veröffentlichten Statut für ein RIAS-Fernsehen wieder. Darin heißt es: „Der Sender ist und bleibt Ausdruck des festen Willens Amerikas, für Freiheit und Demokratie und für die Lebensfähigkeit Berlins einzustehen.“
Das Selbstverständnis des RIAS-Hörfunks war dem Bundesministerium für Innderdeutsche Beziehungen Grund genug, dem RIAS Jahr für Jahr den Haushaltstitel „Förderung besonderer kulturpolitischer Maßnahmen gesamtdeutschen Charakters in Berlin“ zu widmen. Allein 1987 flossen den beiden Hörfunkwellen 85,1 Mio. Mark zu, was einer 93prozentigen Subvention gleichkommt. Magere sieben Prozent steuerten amerikanische Stellen bei.
Das jetzt hinzugekommene RIAS-Fernsehen wird den Steuerzahler allein im ersten Betriebsjahr weitere 50 Mio. Mark kosten. Die acht Millionen Starthilfe sind dabei noch nicht mitgerechnet. Auch hier war der Beitrag, den der US -Haushalt bewilligte, mit einem Etat von 1,7 Mio. Dollar sowie 12 Millionen für die Vorarbeiten eher dürftig.
Der Sender, der - ganz im Gegensatz zu seiner nahezu vollständigen finanziellen Abhängigkeit vom Bund hundertprozentig von Reagans Informationsbehörde USIA (United States Information Agency) kontrolliert wird, ist ein verfassungsrechtlicher Anachronismus. Ein technischer Umstand macht diese - für ein Land, in dem Staatsrundfunk seit dem Dritten Reich wohlweislich verboten ist, einmalige
-Konstruktion zusätzlich brisant:
Der für die Ausstrahlung von RIAS-TV vorgesehene Kanal 25 verfügt nur über eine Sendeleistung von maximal 50KW. Er erreicht damit aber bestenfalls drei Millionen DDR-Bürger. (Wäre es etwa erstrebenswerter, die ganze DDR mit staatstragendem Ami-Gesülze einzulullen? d.S)
Der Rückgriff auf die ehemalige Richtfunkstrecke ins niedersächsische Gartow war notwendig geworden, nachdem die DDR, mit der alle Frequenzen nach dem Europäischen Rundfunkwellenabkommen „koordiniert“ werden müssen, Anfang 1986 ihre Zustimmung zur Nutzung zweier von der Post ausfindig gemachter UHF-Frequenzen versagte. Der Kanal25 hatte zwar den Vorteil, bereits mit der DDR abgestimmt zu sein, seine geringe Reichweite jedoch steht, wie der Kölner Jurist Tillmanns unlängst in einem Gutachten formulierte, „in einem gewissen Widerspruch zu dem Sendeauftrag des RIAS, insbesondere in Richtung auf die DDR“. Wenn jedoch die Hauptzielgruppe, die DDR-Bevölkerung, vom Informationsangebot des RIAS-TV kaum erreicht werde, entspreche, so Tillmanns, auch eine Bundessubventionierung nicht mehr ihrem Verwendungszweck. Bei einer nicht mal 10prozentigen Finanzierung von amerikanischer Seite handele es sich beim RIAS-TV somit um verfassungswidriges Bundesfernsehen unter dem Dach eines amerikanischen Regierungssenders. Das Reichweitenproblem wirft darüber hinaus die Frage auf: Wenn schon die DDR kaum bestrahlt werden kann, wer hat dann Interesse an RIAS-TV?
Ein Blick zurück: Im Mai '84 taucht RIAS-TV erstmals in der öffentlichen Diskussion auf. Während einer Anhörung zum Kabelpilotprojekt im Abgeordnetenhaus plaudert der damalige SFB-Intendant Loewe beiläufig von Plänen „hochrangiger Persönlichkeiten“ in Washington und Berlin. Als '85 auch die technischen Voraussetzungen in greifbare Nähe rücken, entfaltet der Regierende Diepgen rege Betriebsamkeit. In einem Brief bittet er Bundeskanzler Kohl um eine zügige Behandlung der Finanzierungsfrage und fliegt zu USIA -Direktor Wick in die USA, um ihm das Projekt schmackhaft zu machen.
Die Zustimmung der CDU-Fraktion ist ihm dabei gewiß. CDU -Medienexperte Legien schwärmt von einem „anderen Amerikabild“ -durch RIAS-TV - „als es duch manche Beiträge unserer öffentlich-rechtlichen Anstalten vermittelt worden ist.“ CDU-Bundestagsabgeordneter Weirich - der seit kurzem das Zepter im CDU/CSU-„Bundesfachausschuß Medien“ führt, dem auch RIAS-Intendant Rohe angehört - entwirft Anfang 1986 Visionen von RIAS-TV als „Berliner Schaufenster“, das über Satellit auf die ganze BRD niedergehen solle.
Wick, der 1981 von Reagan als Chef der USIA eingesetzt worden war, braucht nicht lange überredet zu werden. Zu gut passen die Fernseh-Pläne in die maßgeblich unter seiner Regie verstärkten Aktivitäten der US-Informationsbehörde, die amerikanische Außenpolitik - vor allem im Zeichen der Raketenstationierung in Westeuropa - in einem vorteilhaften Licht erscheinen zu lassen.
Im Zusammenhang mit RIAS-TV und der PershingII -Stationierung gibt es von Wick den fast schon legendären Satz: „Es ist daher wichtig, daß wir nicht schweigen, und wir werden von der deutschen Regierung ermutigt, in angemessener Weise darzustellen, war wir tun, was wir zur Verteidigung Deutschland beitragen. Gegen ein großes Maß an Fehlinformationen, teilweise sowjetisch inspiriert, teils im guten Glauben durch Fehlinformation verursacht, teils in gutem Glauben aufgrund eines anderen Standpunktes.“ Die Gefahr eines US-willfährigen Journalismus weist RIAS-TV -Direktor Besserer entschieden zurück: „Die Vorstellung, da sitzen irgendwo die Amerikaner und überlegen jeden Tag, was sie denn hier für schöne Propaganda über den RIAS machen können, ist doch naiv. Hier hat mir noch nie einer ins Programm reingefummelt“, äußert er sich dazu in der jüngsten Ausgabe der 'Zitty‘.
Sein Wort in Gottes Ohr. Die innere Konstruktion von RIAS -TV gibt indes wenig Anlaß zur Hoffnung, daß die mit dem neuen Statut festgeschriebenen Entscheidungsstrukturen im Ernstfall Versuchungen, von außen auf das Programm Einfluß zu nehmen, widerstehen werden. RIAS-TV „ist eine Einrichtung der USIA, bei der die Programm- und Sendehoheit liegt“, heißt es knapp, aber deutlich in §1. Die Organe der Anstalt unterstehen pyramidenartig der US-Behörde: Die USIA ernennt das US-Aufsichtsgremium, das wiederum benennt einen deutschen Intendanten. Der im Juli berufene Beirat, der den Intendanten in Programmfragen beraten soll, ist eine nach dem Geschmack von US-Chairman Voth zusammengesetzte Runde ohne jede Entscheidungsgewalt. Illuster dafür die Liste der ausgewählten „Persönlichkeiten“: Wissenschafts-Astronaut Furrer sitzt da ebenso wie der stellvertretende Springer -Chefredakteur Gänsicke oder der Verleger Wolf Jobst Siedler.
USIA-Vizedirektor Hockeimer, der CDU-Bezirksbürgermeister von Zehlendorf, Klemann, und die konservative FU-Politologin Gesine Schwan setzen die Liste der insgesamt elfköpfigen Gremiums fort.
Erschreckend ist, mit welcher Chuzpe jegliche Einwände gegen das RIAS-TV ad absurdum geführt werden. Nicht zuletzt machte die Freigabe der 'Tagesspiegel'-Klage durch den US -Stadtkommandanten vom 1.Juli deutlich, wer in Berlin die Hosen anhat: So erfolgte die Ermächtigung zur Ausübung deutscher Gerichtsbarkeit laut Bescheid an den Justizsenator „mit der Maßgabe, daß die Entscheidung des Gerichts nicht das Recht von RIAS beeinträchtigt, Rundfunk- und Fernsehprogramme innerhalb und außerhalb Berlins auszustrahlen“.
Beate Schulz
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