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Wir haben noch ganz andere Feinde

■ Gespräch mit Jose Torres (Bauernorganisation ANUC) und Jesus Galindo (Esquela Sindical) aus Kolumbien

Jesus Galindo: Die Situation der Auslandsverschuldung stellt sich in Kolumbien etwas anders dar als in anderen Ländern. Wir stellen uns deshalb die Frage der Auslandsverschuldung innerhalb der gesamten nationalen ökonomischen Entwicklung. Wir reden also nicht von der Auslandsverschuldung, sondern von dem nationalen Wirtschafts- und Sozialplan. Die zentrale Frage ist die Finanzierung des Entwicklungsplans. Er ist einerseits durch höhere Steuern gedeckt, andererseits soll er durch Auslandsverschuldung finanziert werden. Die Pläne der Regierung Barco werden mit einer gigantischen öffentlichen Verschuldung bis 1990 einhergehen.

Ein anderes Charakteristikum ist, daß alle diese Kredite nicht in den produktiven Sektor investiert werden. Es wird also nicht in die Produktion investiert, die schließlich Devisen bringen könnte.

taz: Was in allen Ländern Lateinamerikas beunruhigend ist, ist die Nahrungsmittelpolitik, die Notwendigkeit, für den Export zu produzieren. Das führt in vielen Ländern dazu und es wäre die Frage, ob dies auch für Kolumbien zutrifft -, daß, abgesehen vom Landverteilungsproblem, die Bauern aufhören, Nahrungsmittel zu produzieren und Exportprodukte anbauen.

Jose Torres: Die landwirtschaftliche Produktion hat einen entscheidenden Einfluß auf die Klassenlage auf dem Land. Früher haben kleinere und mittlere Eigentümer das produziert, was im Land verbraucht worden ist. Zumindest traf dies bis Mitte der siebziger Jahre hundertprozentig zu. Zu Beginn der siebziger Jahre gab es einen größeren Industrialisierungsschub auf dem Land. Die Großgrundbesitzer, die normalerweise für den Export produziert haben, produzierten dann auch Teile des internen Konsums. Zum Beispiel haben sie den Reisanbau in der Hand. Reis wird in Kolumbien viel gegessen. Ich glaube, daß Reis das letzte ist, was das Volk ißt, wenn alle anderen Produkte zu teuer geworden sind. Das haben die Großgrundbesitzer nun auch an sich gezogen, weil sie in großem Stil produzieren können. Was die Produktion von Nahrungsmitteln für den nationalen Konsum betrifft, ist es für uns die größte Beleidigung, die wir Bauern Kolumbiens erlebt haben, daß es für die Herren billiger ist, Lebensmittel aus anderen Ländern einzuführen als sie im Lande selbst zu produzieren. Wir haben schließlich alle Typen von Boden, um - was immer gebraucht wird - anzubauen. Wir haben alle Klimazonen, Kolumbien hat Land im Überfluß für den Anbau. Nur ein Drittel des Landes wird bebaut. Das ist auf den Großgrundbesitz zurückzuführen, der einen ungeheuren Luxus darstellt. Oft genug stehen für eine Kuh fünf Hektar Weide zur Verfügung. Auf der anderen Seite gibt es das Problem von zwei Millionen Familien, die keinen Zentimeter Land haben und oft auch keinen Platz für ihre Hängematte. Das ist ein Ergebnis der ökonomischen Abhängigkeit, und die ist unser Thema.

Mit den USA gibt es Abkommen, daß Kolumbien jedes Jahr eine gewisse Menge Mais, Sorghum und Soja aus den USA importieren muß. Das ist eine Verpflichtung, die Kolumbien vor vielen Jahren eingegangen ist. Diese Importe kommen in der Regel dann in Kolumbien an, wenn die Bauern ihre Ernte auf den Markt bringen. Das bedeutet, daß in der überwiegenden Mehrheit der Fälle Bauern ihre Ernte verlieren, denn die Produktion findet in Kolonisationsgebieten statt, wo es keinerlei Wege und Infrastruktur, wo es keine Transportmöglichkeiten gibt. Also, auf der einen Seite verlieren wir die Ernte wegen der schlechten Produktionsbedingungen, auf der anderen Seite werden durch den Verkauf noch nicht einmal die Kosten gedeckt, da der Import uns Konkurrenz macht und der Preis zu niedrig ist.

taz: Was erwarten die Bauern von einer Schuldenkonferenz?

Jesus Galindo: Vielleicht ist das einzige, was man dabei gewinnen kann, daß man eine minimale Verbesserung der Auflagen erreicht, daß zum Beispiel die Rückzahlungsquoten verringert, daß die Rückzahlfristen verlängert und daß die Zinssätze verringert werden, daß es mehr rückzahlungsfreie Jahre gibt. Vielleicht auch die Verurteilung eines Teils der Schulden als nicht rechtmäßig zustandegekommene. Aber welche Handlungsmöglichkeiten hat ein Land wie Kolumbien, wenn die Abhängigkeit praktisch hundertprozentig ist? Wenn ein Land wie Kolumbien nicht bezahlen würde, kann man sich leicht ausmalen, welche Reaktionen das hervorrufen würde. Wenn man sich das Problem der Auslandsschulden etwas genauer ansieht, kommt man ja auch darauf, daß beispielsweise die Chefs der öffentlichen Einrichtungen in Kolumbien alle von der Weltbank bestellt und akzeptiert sind. Ohne diese Anerkennung könnten sie gar nicht reden. So weit geht der Einfluß der internationalen Finanzinstitutionen. Die Planung für jedes Jahr ist praktisch von der Weltbank abhängig. Da die Inflation 22 Prozent war, hat die Weltbank verlauten lassen, daß die Inflation nicht höher als 22, höchstens 24Prozent gehen soll. Kolumbien wird ja anderen Ländern als Beispiel dargestellt, daß die Schulden zurückgezahlt werden können, denn Kolumbien ist ein vorbildliches Schuldnerland.

Jose Torres: Das ganze Problem übersteigt den politischen Rahmen unseres Landes. Es kann nur innerhalb der internationalen Solidarität gelöst werden, zusammen mit den übrigen Schuldnerländern. Zumindest haben wir in der Organisation auf allgemeinem Niveau festgestellt, daß die Schulden nicht bezahlt werden sollen, denn die Schulden sind schon bezahlt. In der Dritten Welt ist uns klar, daß dort, wo das Volk nicht den Staat in der Hand hat, sondern die großen Bourgeoisien, daß es ziemlich unwahrscheinlich ist, daß die Bevölkerung davon profitiert. Trotzdem sollten die Quoten, die nicht an den IWF zurückgezahlt werden, im Land investiert werden und möglichst noch im Bereich der Kleinproduzenten, in unserem Fall. Unsere Regierung ist ja treuester Anhänger der Vereinigten Staaten (...). Das drückt sich auch in einer Vielzahl von Familienbeziehungen und bei den Stellenbesetzungen aus. Und welche Hoffnung bleibt da unserem Volk?

Aber es ist ebenso klar, daß wir nicht sagen wollen: „Wir können nichts tun.“ Natürlich wollen wir kämpfen. Wir von unserer Seite schreiben auf unsere Fahnen auch bei diesem Thema die internen Konflikte und Kämpfe. Wir machen Innenpolitik. Denn ich bestehe darauf, daß alle diese Konferenzen und Versammlungen ganz gut sind und bestimmt auch alle Erwartungen, die sich um dieses Thema der Auslandsverschuldung ranken, ihre Berechtigung haben, daß uns dieses Thema aber trotzdem verwirren und wegdrängen kann von den internen politischen Problemen, die wir in jedem Land haben und daß sich das Thema Auslandsverschuldung in einen Mythos verkehrt, hinter dem alle Welt herläuft, und daß wir uns den Kopf zerbrechen, um Definitionen und Lösungen zu finden, wo das Thema doch eng verknüpft ist mit der ökonomischen und politischen Abhängigkeit von den großen kapitalistischen Ländern. Denn wir berühren hier lediglich die Auslandsverschuldung von der Seite des Internationalen Währungsfonds. Aber es gibt ja in unserem Fall auch noch andere Investitionen, auch Auslandsinvestitionen, die uns ebenso großen Schaden zufügen. Zum Beispiel haben Deutschland, Holland, Italien, die Schweiz und Frankreich damals der Regierung Belisario ein gesamt-ökonomisches Paket zur Neuverschuldung unterbreitet, in dem ein wichtiges Element unter anderem war, den bewaffneten Teil des Staatsapparates auszubauen. Zum Beispiel ist den Streitkräften ein hochmodernes Kommunikationssystem angeboten worden, das sie vorher nicht hatten. Das heißt, daß jetzt jeder Polizist an der Ecke mit einem Walky Talky ausgerüstet ist. Nicht zu vergessen die großen Kommunikationszentralen, die Überwachungsfahrzeuge, die auch zu Vernehmungen verwendet werden, Panzerspähwagen und die Hubschrauber und Kriegsflugzeuge, die alle in unser Land gekommen sind. Was ich damit nur sagen will, ist, daß die Auslandsverschuldung und der IWF nicht unser einziges Problem sind, sondern daß wir noch ganz andere Feinde haben.

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