: Oskar probt den deutsch-deutschen Dialog
Saarländischer Ministerpräsident Lafontaine spricht in Ost-Berlin mit Wissenschaftlern, Militärs und dem gemeinen Volk / Diplomatische Kunststückchen und die Perspektiven deutsch-deutscher Politik / Unter vier Augen mit Egon Krenz ■ Aus Ost-Berlin Felix Kurz
Wenn bei den Olympischen Spielen die DDR-Ruderboote mal wieder reihenweise die Goldmedaillen abstauben, wird Oskar Lafontaine sofort an Köpenick, einen der elf Stadtbezirke Ost-Berlins denken. Dort nämlich baut man die schnellen Wasserflitzer. Ganz stolz berichtete das Horst Stranz, der Stadtbezirksvorsitzende Köpenicks, seinem Gast, dem saarländischen Ministerpräsidenten und stellvertretenden SPD -Bundesvorsitzenden, Oskar Lafontaine, drunten im Ratskeller -Gewölbe des Rathauses.
Dort hatten sich einige der insgesamt 225 Abgeordneten Köpenicks zu einem Gespräch mit Oskar Lafontaine eingefunden - beobachtet von Journalisten und dem Staatssicherheitsdienst der DDR. Recht schleppend und zäh verlief das Gespräch, doch als plötzlich ein Abgeordneter den saarländischen Gast fragte: „Bringen Sie als Poltiker noch genügend Zeit für ihre Familie auf?“, hielt manch einer der westlichen Journalisten die Luft an. „Nein“, kurz und knapp fiel die Antwort aus. „Leidet die Familie darunter?“ „Ja, sie leidet darunter.“ Nein, so versicherte der Fragesteller nachher den Journalisten. Er habe nichts gewußt von dem Sommertheater um Oskars Scheidung.
Dann ging es auch schon zu einem anderen Thema. Lafontaine wollte von dem FDJler im peinlich blauen Uniformhemd mit gelbem Aufsticker wissen, „was macht denn die Jugend hier, macht ihr Rock oder Punk oder was?“. Es schien, als wäre der junge Mann nicht auf solch eine Frage vorbereitet. „Wir machen alles“. Und was wünschen sich die Leute in Köpenick am meisten? „Daß, wenn heute etwas kaputt ist, es morgen repariert wird“. Dennoch, dieser deutsch-deutsche Dialog blieb eher im Versuch stecken.
Etwas ungezwungener verlief zuvor der Spaziergang durch den Berliner Stadtteil. Schon bei der Schloßbesichtigung, im Schnellzugtempo durchgehechelt, traf Oskar Lafontaine eine Familie aus dem Saarland. Und da kennt man sich. Nach dem Familienfoto ging es zu Fuß durch Köpenick, immer bestens bewacht von den Schatten der Macht, dem Stasi. Spontan begrüßte Lafontaine zwei Malocher. Nur der eine wußte, wer denn der freundlich-lächelnde Herr mit der Meute hintendran war. „Der Oskar.“ In der Kneipe „Zum Amtmann“ in Köpenick zapfte der SPD-Vize volkseigenes Bier, Marke Pilsator, das Gläschen zu 0,70 Mark. „Ich habe gerne mit ihnen einen gezogen“, meinte der saarländische Gastarbeiter zum Gastwirt. Etwas lockerte sich die Szene durch die saarländische Variante der Köpenikiade, doch so recht gelöst war die Stimmung immer noch nicht. Wer von den Gästen war denn freiwillig an den Tischen, nicht etwa bestellt, fragte sich der ein oder andere Journalist.
Zwei Tage besuchte der saarländische Ministerpräsident die DDR, und ihm gelangen dabei gleich mehrere kleine Kunststückchen. Erich Honnecker, der Staatsratsvorsitzende, empfing ihn am Werbellin-See im Gästehaus der DDR. Eine protokollarische Aufwertung, die bis dato nur Helmut Schmidt genossen hatte. Auch die Journalisten wurden mit Blaulicht und pünktlich zum Fototermin im Jagdschloß Hubertusstock, unmöglich dekoriert mit Hirschgeweihen, Jagdgewehren und anderem Waidmännischen Beiwerk, gelotst. Da prangt gar unter einem Elchgeweih eine Fotographie von Erich Honnecker und Leonid Breschnew. An wen soll das nur erinnern?
Oskar, 45, wirkte gut gelaunt und auch sein saarländischer Blutsbruder Erich, 75, - er könnte sein Vater sein, war gut drauf. Das sorgte letztendlich für viel Wartezeit bei den Journalisten, denn wenn sich zwei Saarländer etwas zu erzählen haben, meinte Felix Stenschke, der stellvertretende Pressesprecher der saarländischen Landesregierung, dann „kommt schon mal der Terminplan durcheinander“. Der Krach über den Köpfen der untätigen Pressemeute am WerbellinSee, wirkte wie eine gute Inszenierung zum Thema Tieffluglärm. Es sei augenblicklich Manöver, wurde erklärt. Und als der Saarländische Ministerpräsident zu einer kurzen Zwischenbilanz ein paar Minuten vor die Kameras und Mikrofone trat, erklärte er, er habe bei dem Staatsratsvorsitzenden sofort Interesse gefunden, als er vorgeschlagen habe, ein Abkommen über die Reduzierung der Tiefflüge hüben und drüben als ein Zeichen konkret erfahrbarer Abrüstung für die jeweilige Bevölkerung zu veranlassen.
Natürlich habe man auch über die Perspektiven deutsch -deutscher Politik und über die Einschätzungen und Auswirkungen in der DDR der Gorbatschow'schen Glasnost -Politik gesprochen. Lafontaines Eindruck: Die DDR bewerte die Bemühungen Gorbatschows als Maßnahme zur Steigerung der Arbeitsproduktivität, weniger als Demokratisierungsprozeß. Dieser Interpretation habe er seine eigene, die der notwendigen Demokratisierung der Gesellschaft, gegenübergestellt, erklärte der Ministerpräsident.
Auch das gemeinsame Frühstück von Lafontaine im Gästehaus Schloß Niederschönhausen, mit westlichen Journalisten war genauso ungewöhnlich für eine solche Visite wie der Vortrag des Saarländers vor rund 150 Politik- und Militärwissenschaftlern im internationalen Pressezentrum in Ostberlin, Thema: „Die Gesellschaft der Zukunft.“ So heißt auch der Titel seines letzten Buches, daß Lafontaine in der kleinen Dan-Air-Maschine auf dem Flug von Saarbrücken nach Berlin schnell noch einmal vornahm. Gut präpariert versuchte er dann seine message unter die Anwesenden zu streuen. Doch das gelang nur teilweise. Das Wort Glasnost nahm kein einziger DDR-Wissenschaftler in den Mund und die erste Wortmeldung war auch von ablehnender Natur. Da behagte dem einem Chemiker zum Beipiel nicht, daß Oskar Lafontaine von einer ökologischen Katastrophe sprach, auf die die Menschheit zusteuere. Nein, Katastrophe muß man „erst definieren“, entgegenete der Wissenschaftler, eher könne man von „ökologischen Begleiterscheinungen“ nicht reden. Auch das Wörtchen Schadstoffe sei zu grob, „Fremdstoffe“ sei da schon richtiger. DDR-Umweltschutz?
Lafontaine faßte seine Thesen von der bitter notwendigen Demokratisierung der Gesellschaft selbst zusammen. Früher habe man gesagt Demokratie brauche Luft zum Atmen. Diesen Spruch könne man heute getrost auch umkehren und sagen: „Wenn wir nicht bald mehr Demokratie haben, wird die Luft bald nicht mehr zu atmen sein.“ Deshalb dürfe man die Verantwortlichkeit für die Zukunft nicht etwa allein auf Institutionen und Organe wie Bundesregierung oder Zentralkommittee übertragen, sondern jedes einzelne Individuum sei verantwortlich. „Eine gesellschaft kann nicht verantwortlich handeln ohne demokratische Strukuren.“ Die entscheidende Frage sei allerdings, inwieweit die einzelnen System und Normenkataloge leistungsfähig genug seien, die Fragen der Zukunft zu bewältigen. Da hat Oskar Lafontaine seine Zweifel. Er propagierte, wie die Akteure der französichen Revolution „die Weltgesellschaft der Freien und Gleichen“.
Ermuntert durch den Minsterpräsidenten („Ich vertrage als Politiker auch, daß mir jemand sagt, das ist alles Quatsch“), wurde der ein oder andere konkreter, offener. Freimütig bekannte jemand, „auch wir stehen vor qualitativen Veränderung“, doch wie die „neue Qualität“ aussehen soll, das ahnt in der DDR bisher noch niemand. Gorbatschows Aktivitäten seien „interessant“, weil „man etwas davon lernen kann“.
Nicht im Programm vorgesehen, doch von immenser Bedeutung, war noch ein anderes Kunststückchen Lafontainscher Diplomatie. Eine mehrstündige Bootsfahrt mit Egon Krenz, dem wahrscheinlichen Nachfolger Erich Honneckers. Krenz, im Politbüro für die Jugend zuständig, führte mit dem Gast ein Gespräch unter vier Augen, von Nachfolger zu Nachfolger, ohne Pressebegleitung.
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