: Scheiß-Kultur
■ Zweifelhafte Hygiene des WC / Tischdeckchen, Silberbesteck und Gebet vorm Scheißen
Die Vegetation hat Jahrmillionen gebraucht, um die Schleimis, die Giftstoffe zuzudecken mit einer Humusschicht, einer Vegetationsschicht, einer Sauerstoffschicht, damit der Mensch auf der Erde leben kann. Und dieser undankbare Mensch holt eben diese Schleimnis und eben diese Giftstoffe wieder an die Oberfläche...
Wir essen nicht das, was hier bei uns wächst, wir holen Essen von weit her, von Afrika, Amerika, China und Neuseeland. Die Scheiße behalten wir nicht, unser Unrat, unser Abfall wird weit weggeschwemmt. Wir vergiften damit unsere Flüsse, Seen und Meere, oder wir transportieren sie in hochkomplizierte teure Kläranlagen, oder aber der Abfall wird vernichtet.
Der Kreislauf vom Essen zur Scheiße funktioniert, der Kreislauf von der Scheiße zum Essen ist unterbrochen. Wir machen uns einen falschen Begriff von unserem Abfall. Wenn wir die Wassserspülung betätigen, im Glauben, eine hygienische Handlung zu tun, verstoßen wir gegen kosmische Gesetze, denn in Wahrheit ist es eine gottlose Tat, eine frevelhafte Geste des Todes.
Wenn wir auf die Toilette gehen, von innen zusperren und unsere Scheiße wegspülen, ziehen wir einen Schlußstrich. Warum schämen wir uns? Wovor haben wir Angst? Was mit unserer Scheiße passiert, verdrängen wir wie den Tod. Das Klosettloch erscheint uns wie das Tor in den Tod, nur rasch weg damit, nur schnell vergessen die Fäulnis und Verwesung.
Dabei ist es gerade umgekehrt: Mit der Scheiße beginnt erst das Leben. Die Scheiße ist viel wichtiger als das Essen. Seit der Mensch denken kann, versucht er, unsterblich zu sein. Der Mensch will eine Seele haben. Die Scheiße ist unsere Seele. Durch die Scheiße werden wir unsterblich. Wer eine Humustoilette benutzt, hat keine Angst vor dem Tod, denn unsere Scheiße macht zukünftiges Leben...
Der Mensch ist nur ein Rohr. Auf der einen Seite gibt er Dinge hinein, auf der anderen kommen sie verdaut heraus. Der Mund ist vorne, der After hinten. Warum? Umgekehrt sollte es sein. Wieso ist Speisen positiv? Wieso ist Scheißen negativ? Was aus uns herauskommt, ist kein Abfall, sondern der Baustein der Welt, unser Gold, unser Blut. Dieselbe Liebe, dieselbe Zeit und Sorgfalt muß aufgewendet werden wie für das, was „vorne“ hineinkommt. Dieselbe Zeremonie wie beim Speisen mit Tischdeckchen, Messer, Gabel, Löffel, chinesischen Eßstäbchen, Silberbesteck und Kerzenlicht. Wir haben Tischgebete vor und nach dem Essen. Beim Scheißen betet niemand. Wer betet dafür, daß Gott unsere Scheiße täglich umwandle? Abgeschrieben auf dem Humus-Kl
des esoterischen „Wassermann-Zentrums“ Gmün
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