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„Wer aus der Reihe tanzt, fliegt raus“

■ Von der JU zu den Republikanern: Der nicht ganz freiwillig vollzogene Wechsel des Carsten Pagel

Die idealtypische Karriere eines Mitgliedes der reaktionären „Republikaner“ könnte etwa so aussehen: mit 15 Jahren über die Mauer gemacht, mit 16 in der Jungen Union, mit 20 bei der Polizei. Dann die Zäsur: aus Enttäuschung über die zu seicht ausgefallene „Wende“ der CDU/CSU in der Innen- und Außenpolitik der Austritt aus der „laschen“ Regierungspartei und rein in die „rechte Alternative“. Bei den meisten Berlinern, die im Januar für die REPs in das Abgeordnetenhaus einziehen möchten, handelt es sich um „exilierte Mitteldeutsche“, frustrierte Polizisten oder Rechtskonservative. Einer von ihnen heißt Carsten Pagel, Mitte 20, Abgeordneter der BVV Tiergarten und auf Platz zwei der REP-Landesliste.

Pagel trat vor rund zehn Jahren in die JU ein, übernahm schon 1981 den Kreisvorsitz der Jugendorganisation im Bezirk Tiergarten. Dem Pennäler wurde eine „große Zukunft in der Partei“ prophezeit - Pagel gehörte zu den Schützlingen des Berliner Bundestagsabgeordneten Peter Kittelmann, der auch der CDU in Tiergarten vorsteht. Im Frühjahr 1983 stolperte Pagel, der damals in einer JU-Schülerzeitung mitarbeitete, über ein herbes „Rudel-Portrait“. Der Nazi-Flieger, so drückt es ein JU-Funktionär heute aus, „wurde von Pagel absolut distanzlos beschrieben“, - man könnte auch „verherrlicht“ sagen. Auf Druck der Reformer trat Pagel zurück.

Kollege Kittelmann fand den „Rudel-Text“ nicht weiter wild, buchte es als „jugendliche Verirrung“ ab - denn für Pagel war trotz des skandalösen Artikels noch nicht alles gelaufen in der CDU. Ein halbes Jahr später feierte der knallharte Rechte sein christdemokratisches Comeback, diesmal als Mitglied im Kreisvorstand der CDU. Und siehe da: Nach Jahresfrist, im Frühjahr '84, war er wieder JU-Chef im Bezirk. Im März 1985 zog er gar auf der Liste der Tiergartener in die Bezirksverordnetenversammlung ein. Die „Rudel-Affäre“ war ihm nicht wirklich gefährlich geworden. Ein JU-Mitglied: „Ohne Kittelmanns Unterstützung wäre der nie wieder Fortsetzung auf Seite 18

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hochgekommen.“ Pagels kometenhafter Wiederaufstieg endete abrupt, als im Sommer 1987 das Gerücht umging, er würde nicht den von Kittelmann favorisierten Sohn bei seiner Kandidatur zum Landesvorsitzenden unterstützen, sondern den Vertreter des Reformflügels, von dem sich Pagel fairer behandelt fühlte. „Wer bei Kittelmann aus der Reihe tanzt, fliegt raus!“ erläutert ein JU-Funktionär - und so geschah es. Kittelmann, der den amtierenden JU-Landesvorsitzenden Gunnar Sohn in seinem Büro beschäftigt, stimmte kurz vor einer Tiergartener JU-Versammlung einer „Mitgliederüberweisung“ aus Charlottenburg zu. Carsten Pagel mußte plötzlich mit 15 zusätzlichen politischen Gegnern rechnen, die ihn „absägen“ wollten. Er organisierte eine „Saalschutzmannschaft“, ließ die Charlottenburger nicht in den Wahlraum. Pagels Wächter, zumeist Motorradfahrer, trugen schwarze Lederkluft. Seine jetzigen Gegner, die ihm nach Bekanntwerden des rechtsextremen Rudel-Portraits 1983 trotzdem die Stange gehalten hatten, erkannten darin plötzlich „SA-Methoden“. Pagel wurde seiner Ämter enthoben und Gunnar Sohn Landesvorsitzender.

„Carsten Pagel hat sich parteischädigend verhalten!“ erklärte Peter Kittelmann damals - ein Ausschlußverfahren war die Folge. Der Jungpolitiker kam dem Rausschmiß mit seinem Austritt im Dezember letzten Jahres zuvor. Pagel ist nun stellvertretender Landesvorsitzender der REPs. Auf Kittelmann ist er dem Vernehmen nach nicht mehr gut zu sprechen, obwohl die beiden nun echte Amtskollegen sind: Der Maß ist ebenfalls ein Partei-Vize (siehe auch Bericht auf Seite 4).

C.C. Malzahn

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