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„Wir lassen uns nicht in die Knie zwingen“

Die streikenden Arbeiter in der polnischen Zeche „Andaluzja“ lassen sich von Ultimaten der Regierung nicht unter Druck setzen / Vor dem Tor Solidarnosc-Fahnen / Jaruzelski kündigt Maßnahmen an / Busverbindungen eingestellt  ■  Aus Piekary Slaskie A. Winter

Die Zeche „Andaluzja“ ist weiträumig von Polizeieinheiten umstellt. Die Zufahrtsstraßen abgeriegelt. Wer dennoch zur Grube will, muß sich über Wiesen und Felder anschleichen. Den Sicherheitsorganen ist es natürlich nicht entgangen, daß sich über die umliegenden Kartoffel- und Weizenäcker ein Nachschubpfad gebildet hat. Sie sehen dem Treiben über Feldstecher genau zu und warten ab. Alte Frauen mit Lebensmitteln im Korb und junge Männer mit den neuesten Flugblättern in der Plastiktüte besuchen die Streikenden. Am Zechentor werden die Besucher mit großer Freude begrüßt. Das Tor ist geschmückt mit Fahnen der verbotenen Gewerkschaft Solidarnosc und Blumen. Seitlich des Tores steht ein Feldaltar. Von Tag zu Tag mehren sich die rot-weißen Nationalflaggen. Will man den Sicherheitsorganen damit zu verstehen geben: „Wir alle sind Patrioten, wir streiken nicht, um unser Vaterland in ein Chaos zu stürzen“?

Bazyli Tyszkiewicz, mit 45 einer der ältesten Bergleute der kleinen Grube, wird gerufen. Als der Streikführer mir die Hand schüttelt, kann sein Lächeln nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich die Angst unter den Kumpeln mehrt. „Zu lange ist es ruhig“, hörte ich die Menschen schon tags zuvor in dem kleinen Ort Piekary Slaskie, der dem Bergwerk vorgelagert ist, sagen.

Aus den Radio- und Fersehsendungen geht hervor, daß die Genossen in der 300km entfernten Parteizentrale nicht im entferntesten zu Zugeständnissen bereit sind. In der Wochenendausgabe des Warschauer ZK-Organs „Trybuna Ludu“ heißt es unmißverständlich: „Eine Rückkehr zu 1981 (dem Solidarnosc-Sommer) als die Gesellschaft durch gewerkschaftlichen Pluralismus mißbraucht wurde, kommt nicht in frage.“ Und weiter: „Eine Zulassung der verbotenen Gewerkschaft ist vollkommen unrealistisch.“

Wohin die Entwicklung nach Parteiansicht laufen soll, ist auf dem Werksgelände des 'Huta Andaluzja‘, der kleinsten aller zehn bestreikten Zechen Oberschlesiens deutlich sichtbar. An dem Hauptgebäude hängt ein großes rotes Banner: „Was wir heute erarbeiten, nützt uns in der Zukunft“, gezeichnet: „Polnische Vereinigte Arbeiterpartei“. Tyszkiewicz lacht, als er bemerkt, wie ich die mannsgroßen Buchstaben anstarre. „Gefällt dir wohl besser als unsere Streikforderungen?“ Doch ohne eine Antwort zu erwarten, fährt er fort: „Junge, schreib nieder, wir lassen uns nicht in die Knie zwingen, die Regierung kann noch so viele Ultimaten stellen, wir müßten die Arbeit wieder aufnehmen sonst ... du verstehst, wir lassen uns nicht drohen. Und jetzt schleich dich wieder weg.“

Auf dem Trampelpfad zurück ins Bergwerksdorf Piekary Slaskie begegne ich zwei jungen Männern, die ein großes Plakat zur Zeche schleppen. Darauf heißt es: „Ohne Solidarnosc gibt es keine Freiheit.“

Am Sonntag früh in Katowice versuche ich, ein Taxi zu bekommen: „Wer möchte sich ein Extrageld verdienen und fährt mich zur 'Huta Andaluzka‘ hinaus?“, frage ich. Was am Vortag bereits beim ersten Fahrer auf offene Ohren stieß, findet heute kein Gehör. „Und einen Sonderknast müßten sie fairerweise mitbezahlen“, sagt nach längerem Schweigen einer der älteren Fahrer. „So angespannt ist die Situation?“ frage ich. „Hören sie doch einmal zur nächsten vollen Stunde Nachrichten“, lautet die Antwort.

Von nun an erklingt es drohend zu jeder Stunde aus dem Äther: Staats- und Parteichef Jaruzelski habe sich am Samstag abend mit den höchsten Generälen beraten und man habe entsprechende Maßnahmen getroffen, die der Gefahr angemessen seien. Kaum liefen diese Meldungen über die Medien, tauchten in Oberschlesien bereits die wildesten Gerüchte auf. Militäreinheiten hätten zur Unterstützung der Polizei die Zechen umstellt. Gäben die Kumpels nicht auf, sei in der nächsten Nacht der entscheidende Schlag sicher, noch bevor Walesa in Danzig seine 12.000 Mitstreiter auf der Werft mobilisieren könne.

Was an diesen Gerüchten stimmt, war in den Sonntagmorgenstunden nicht nachprüfbar. Das einzige Indiz, das auf eine Abschottung zwischen Streikenden und der übrigen Bevölkerung hinweist: Die Busverbindungen von Katowicze in Richtung Piekary Slasky wurden sämtlich eingestellt.

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