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SPAGETTI BOLOGNESE

■ Die experimentelle Szene Bolognas besetzt die UFA-Fabrik kulturell

Wenn auch der UFA-Fabrik immer noch das Image der alternativen Müslis anhängt, so hat sich das Kollektiv doch längst weiterentwickelt zu einem Projekt, in dem Dinge möglich sind, die sich jenseits von handwerklicher Gesundbeterei einem professionellen Kulturbetrieb nähern, der anderen Gesetzmäßigkeiten unterliegt.

Während des „trans europe festival“ stellen zur Zeit 32 KünstlerInnen aus Bologna Arbeiten vor, die im Herbst den Auftakt zu einem unabhängigen Kunst- und Kulturzentrum dort sein werden.

In der UFA-Fabrik, diesem Gelände, auf dem es immer noch etwas zu entdecken gibt außer den üblichen Veranstaltungsorten, den Gruppen, die sich mit diesem und jenem Training beschäftigen, muß man sich also Zeit nehmen, nicht nur im Cafe sitzen, an der Bar hocken, die Bänke drücken und in den Kinosesseln lehnen. Im Foyer des Kinos hat man Gelegenheit, diverse Filme anhand von Comics ablaufen zu lassen, die in „Zio Feininger“, einer Grafik -Schule, entstanden sind. Es sind Illustrationen unter aanderem zu altbekannten Märchen und Geschichten, die man als europäisches Gemeingut bezeichnen kann. Hier allerdings ist festzustellen, daß abgesehen von dem qualitativen hohen Niveau Lust gemacht wird, diese Geschichten noch einmal zu lesen, weil fast alle Comics eine neuere Interpretation bieten, ohne mit dem Finger darauf zu weisen, ohne zu deuteln, sondern nur um zu zeigen, wie altbekannte Erzählungen in den Köpfen der heutigen Jugend wirken, die allerlei Vergleichsmaßstäbe hat. So wirken die „Abenteuer des Oliver Twist“ von „Mario Festi“ aktuell in der Personenlandschaft des 20.Jahrhunderts, die Aquarelle von „Marcello Jori“ zu „Moby Dick“ sind dynamisch wie man es sich erwartet von einem weißen Wal, der es mit den Menschen im Kampf ums Überleben aufnimmt. Und wenn man sieht, was „Sebastiano Vilella“ aus „Rotkäppchen“ herausholt, dann will man eigentlich mehr von diesen Comic-Zeichnern sehen.

Diese aus 90 Zeichnungen bestehende Ausstellung unter dem Titel „Dr.Pencil& Mr.China“ ist aber nur ein einziger Programmpunkt des überquellenden Arrangements aus Bologna, das auch in den alten UFA-Filmbunker führt, in die unterirdische Wasseraufbereitungsanlage aus Filmproduktionszeiten, in einen Raum, in dem die Kessel, Rohre und Eisengitter über Wasserbecken seit Jahrzehnten unberührt vor sich hin rosten. Dieser Raum ist nun zu erfahren als Raum für die „Maschine zur Produktion des alltäglichen Schweigens“. So sollte man ihn begehen, mit möglichst wenigen Mitschweigern, und wirken lassen, was dieser Raum zu sagen hat.

Zwar ist es möglich, einen Zusammenhang zwischen dem „Schweigen“ und „Earth“ von Anton Roca zu konstruieren, aber schon für sich allein ist letzterer eindrucksvoll in seiner Bescheidenheit, die vier Elemente Sand, Wasser, Luft und Licht so in Glas einzubringen, daß man sich konzentrieren kann auf wesentliche Elemente, die in ihrer Einfachheit einfach nur ästhetisch schön sind.

Wichtig erscheinen auch die Informationen aus Bologna, die sich beziehen auf die Dokumentation der Aktivitäten rund um das „Cassero“, das im Inneren eines Tores der mittelalterlichen Befestigungsanlagen Bolognas von der Schwulen- und Lesbenbewegung Italiens erobert worden ist, ein Zentrum, in dem man das findet, was einen lebendigen Kommunikationsort ausmacht, eine Bibliothek, ein Archiv, eine Videothek, eine Möglichkeit, um Theater zu spielen. Wenn man sich darüber informieren will, ist es notwendig, und in Anbetracht des Ortes innerhalb der UFA-Fabrik auch möglich, mit diversen Italienern ins Gespräch zu kommen, die an ihren netten kleinen italienischen Fähnchen zu erkennen sind.

Im Foyer bzw. den angrenzenden Räumen des Theatersaals kann man sich entweder lustig machen über die kleinen Fotoromane, die an der Wand hängen und die bei Unachtsamkeit so schnell zurückschnappen, daß sie durch den Raum fliegen, man kann die großformatigen schwarzweißen Portraitfotografien von „Gianni Gosdan“ anschauen, die in ihrer Unschärferelation Wirkung zeigen.

Schließlich liegen nebenan sowohl Kleider einer Modenschau zur Schau, von denen man kaum glauben mag, daß sie überhaupt getragen werden können. Aber die Fotos einer Modenschau machen deutlich, wie sehr sich die Realität eines untragbaren Kleides verwandelt in Einfallsreichtum.

Man kann das alles gar nicht aufzählen, wie sehr die Bolognenser KünstlerInnen die UFA-Fabrik unter ihre Fittiche genommen haben, sogenanntes südländisches Temperament in nördliche Gefilde gebracht haben, um zu demonstrieren, wie alle möglichen Sparten bildender Kunst gemeinsam Kraft entwickeln, um aus den Ghettos der Kunst auszubrechen.

In der UFA-Fabrik ist man nicht nur durch diese italienische Inbesitznahme auf dem Weg, tatsächlich zu einer dezentralen europäischen Kulturfiliale zu werden, an der man sich nicht vorbeidrücken sollte.

Qpferdach

Bis zum 28. August sind die Aspekte italienischer Kunst von 14 bis 22 Uhr zu besichtigen, und, wenn man kann, sogar zu erwerben.

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