Badefreuden in der britischen Kloake

Dreihundert britische Strände sind hochgradig verseucht. Die Insulaner baden trotzdem  ■  Aus Blackpool Rolf Paasch

Ein ganz gewöhnliches August-Wochenende auf der M 6, der Nord-Süd-Achse des britischen „Motorway„-Netzes. Hinter Manchester beginnt das Kriechen in den Urlaub. Erst hinter Preston, wo die gesamte „working class“ zu ihrem traditionellen Urlaubsziel ins Seebad nach Blackpool abbiegt, löst sich der Stau wieder auf. Jetzt können bundesdeutsche Raser das Rennen in die Einsamkeit des schottischen Hochlandes wieder ungestört auf der Überholspur fortsetzen und italienische Campingwagen mit kulturhungrigen Touristen zum Festival nach Edinburgh weiterrollen.

Das einheimische Urlaubsvolk macht sich währenddessen daran, vor Blackpool in der eigenen Scheiße zu baden.

Der sieben Meilen lange „goldene“ Küstenstreifen des populären Seebades ist einer der über 300 britischen Strände, an denen die bleichen Briten in einem Meer von Kolibakterien schwimmen. Mit viktorianischem Pragmatismus werden die Abwässer in Großbritannien auch heute noch häufig unbehandelt direkt ins Meer gepumpt. Einer Statistik der „Marine Conservation Society“ zufolge leiten derzeit noch 227 Abwasserkanäle die Exkremente von fünf bis acht Millionen Menschen direkt in die Küstengewässer; in der Hoffnung, daß sich die Bakterien bei Wind und aufgewühlter See rasch gleichmäßig verteilen. Selbst nach regierungseigenen Zahlen verstoßen mehr als die Hälfte der britischen Badegewässer gegen die Reinhaltevorschriften der EG. Im Vergleich dazu erfüllen 93 Prozent aller niederländischen Küstengewässer die EG-Richtlinie für Kolibakterien. Erst nachdem Greenpeace in Blackpool und anderswo im letzten Jahr Daten über die Verseuchung der bevorzugten menschlichen Schwimmgründe erhoben und veröffentlicht hatte, bewilligte das Umweltministerium 70 Millionen Pfund für ein längst überfälliges und immer noch unzureichendes Investitionsprogramm für den Bau von Kläranlagen. Auch in Blackpool, wo die Verseuchung zeitweise um das Zehnfache über den zulässigen EG-Werten lag, will die Wasserbehörde nun von der direkten Einleitung der Abwässer absehen.

Doch während die bundesdeutsche Tourismusindustrie von Travemünde bis Sylt mittlerweile begriffen hat, daß tote Seehunde und lebende Bakterien schlecht fürs Geschäft sind, regt sich das Umweltbewußtsein britischer Badegäste und Hotelbesitzer noch mit dem Tempo der hierzulande als Delikatesse gehandelten Wellhornschnecke. Die Tourismusindustrie wehrt sich beinahe geschlossen gegen die „Schwarzmalerei“ von Green-peace. Und um die Ungefährlichkeit des von den Umweltschützern vermiesten Badevergnügens öffentlichkeitswirksam zu demonstrieren, stürzte sich unlängst gar der Chef der Hotelvereinigung zusammen mit „Miss Blackpool“ kühn in die koli-gekräuselten Wellen.

Nimmt man den zu erwartenden Einnahmerekord von über 300 Millionen Pfund in diesem Jahr zum Maßstab, dann werden es ihm die jährlich zwölf Millionen Feriengäste Blackpools auch in Zukunft sorglos nachtun. Nur die „Marine Conservation Society“ versteht die Vorliebe der britischen Urlauber für das Bad im Schmuddelmeer nicht mehr. „Wir sind doch angeblich eine der zivilisiertesten Nationen der Welt“, meint die Organisation zum Schutz des Meeres verzweifelt. „Warum setzen wir uns dann der Schande aus, in unseren eigenen Abwässern zu baden?“