: Ein Dinner entscheidet über Zyperns Zukunft
Morgen treffen sich Zyperns Präsident Georgios Vassiliou und der zyperntürkische Führer Rauf Denktasch mit UN-Generalsekretär Perez de Cuellar zum ersten zypriotischen Gipfel seit mehr als drei Jahren / Gute Chancen für den Beginn eines Dialogs zwischen Insel-Griechen und -Türken ■ Von Klaus Hillenbrand
Berlin (taz) - Für den 19jährigen, der vor drei Wochen an der zypriotisch-zypriotischen Demarkationslinie starb, kommt die Diplomatie zu spät. Der junge Sergeant wurde beim (illegalen) Überqueren der UNO-Pufferzone in Agios Kassianos mitten in der verwinkelten Altstadt Nikosias von der Kugel eines türkischen Soldaten tödlich getroffen. Wie es zu diesem Zwischenfall, dem letzten in einer endlosen Kette von Gewalttaten auf der „Insel der Aphrodite“, kommen konnte, darüber gibt es verschiedene Versionen. Ebenso verschieden sind die Interpretationen für eine Lösung des Zypern -Konflikts zwischen der Regierung der Republik Zypern und den Machthabern im Norden der geteilten Insel. Morgen will man den Dialog dennoch wieder aufnehmen - bei einem Essen. Es treffen sich der zyperngriechische Präsident Georgios Vassiliou und der zyperntürkische Führer Rauf Denktasch. Es wird die erste Begegnung zwischen den beiden Zypern seit mehr als drei Jahren sein.
Dank der „Friedens-Epidemie“ in der Welt, so Georgios Vassiliou, sei die Zeit jetzt endlich für eine Lösung der Zypern-Frage reif. Nur einen Tag vor Beginn der Friedensverhandlungen zwischen Iran und Irak, Monate nach der Afghanistan-Lösung und Wochen nach dem Durchbruch um Angola und Namibia ist es UN-Generalsekretär Perez de Cuellar gelungen, Bewegung in einen weiteren regionalen Konflikt zu bringen. Die Verhandlungen um eine Lösung des Zypern-Konflikts sind schon ein gutes Dutzend mal für endgültig gescheitert erklärt worden - jetzt beginnen sie erneut. Allerdings sind da besondere positive Vorzeichen, die hoffen lassen, daß das Genfer Treffen nicht wie der Pedieos-Fluß von Nikosia im Sommer im Sande verläuft.
Der griechisch-türkische Frühling in den Beziehungen zwischen Athen und Ankara hat auch die Chancen für eine Lösung zwischen Nikosia-Nord und -Süd erhöht. Zwar scheint die Türkei auch weiterhin nicht gewillt, ihre auf 25.000 bis 30.000 Mann geschätzten Truppen aus Nord-Zypern abzuziehen, dennoch ist Bewegung in die Szene gekommen. Frieden wird am Mittwoch in Genf nicht geschlossen werden - aber der neue Dialog zwischen Zyperngriechen und -türken markiert einen Anfang. Wesentliche Punkte einer anvisierten Lösung sind für die Mittelmeerinsel längst abgesprochen. In endlosen Verhandlungen zwischen dem zyperntürkischen Führer Denktasch und den jeweiligen Präsidenten der Republik hat man sich auf die Gründung eines Bundesstaats geeinigt. Er soll die Teilung Zyperns überwinden, die seit der türkischen Invasion im Jahre 1974 Insel-Griechen und -Türken zu Fremden gemacht hat. Die bisherigen Vereinbarungen sehen vor, daß im moslemischen bzw. christlichen Teil des Bundesstaats den Einwohnern weitgehende Selbstverwaltung zugestanden wird. In einem Zwei-Kammer-System sollen griechische Mehrheit und türkische Minderheit (ca. 20 Prozent) vertreten sein. Die Regierung würde immer von einem griechischen Präsidenten geführt, sein Vize wäre immer ein Zyperntürke. Daß diese Lösung zwar beide Nationalismen befriedigt, nicht aber soziale Grenzen berücksichtigt, haben beide Seiten längst in Kauf genommen. Die Kommunistische Partei der Zyperngriechen, AKEL, gehört zu den vehementesten Verfechtern dieser Lösung entlang nationaler Grenzen, einfach, weil ein anderer Weg noch weniger durchsetzbar erscheint.
Vier Hauptprobleme
Vier Eckpunkte blieben bisher bei allen Gesprächen offen, und sie werden wohl auch das Treffen in Genf zwischen Perez, Denktasch und Vassiliou bestimmen. Der einfachste von ihnen dürfte noch die Frage der internen Grenzen des Bundesstaats betreffen. Seit dem Krieg 1974 leben die türkischen Zyprioten fast ausschließlich im besetzten Gebiet - rund 37 Prozent des Inselterritoriums. Dieser zyperntürkische Teil des Bundessstaats soll verkleinert werden, nur wo und um wie viele Quadratmeilen, blieb bisher offen. Immerhin existieren bereits Karten, die von einer Rückgabe von Teilgebieten ausgehen. Wesentlich schwieriger gestaltet sich dagegen die Frage der Flüchtlinge: Sollen die Zyperngriechen in ihre alte Heimat zurückkehren dürfen, aus der sie türkische Panzer vor 14 Jahren vertrieben haben? Letztlich wäre wohl kaum einer der Flüchtlinge bereit, in einem von Zyperntürken verwalteten Gebiet zu leben - aber es geht ums Prinzip. Denktasch fürchtet eine „Überfremdung“ der eigenen Region, und, wohl nicht zu Unrecht, die Gefahr einer Verbrüderung von alten Nachbarn, die sein akkurat gepflegtes Feindbild vom mordenden Griechen bei den eigenen Landsleuten ins Wanken bringen könnte. Bei den Zyperngriechen wiederum ist das Rückkehrrecht für die Flüchtlinge zur täglichen politischen Seifenblase geworden, doch wehe, ein Politiker hält sich nicht daran. Er verfiele in immerwährende Ungnade. Schließlich bleibt die Frage der türkischen Siedler. Etwa 60.000 Türken sollen laut griechischen Angaben seit 1974 in den besetzten Teil eingewandert sein, unabhängige Angaben sprechen von 30.000 bis 40.000. Sie sollen nach dem Willen der Insel-Christen zurück in ihre alte Heimat - auch diejenigen, die längst auf der „fremden“ Insel geboren und aufgewachsen sind. Die türkische Seite dagegen bestreitet schlicht die Existenz dieser Siedler, die zu einer der stärksten Stützen der rechtskonservativen Politik Denktaschs geworden sind.
Die Frage der
türkischen Truppen
Doch all diese Streitpunkte sind nebensächlich angesichts des Hauptproblems, und das sind die türkischen Besatzungstruppen. Ihr Abzug käme überhaupt nicht in Frage, versicherte noch im Juni der türkische Staatschef, General Evren. Doch andererseits zwang die türkische Regierung ihren zyperntürkischen Statthalter Denktasch kurz darauf, den von ihm so ungeliebten Dialog mit den Insel-Griechen anzunehmen. Anders als Vassilious Vorgänger Kyprianou beim letzten gescheiterten Gipfel im Januar 1985 fordert der neue Präsident nicht länger den sofortigen Abzug der Truppen noch vor einer Zypern-Lösung. Er kann sich auch einen schrittweisen Rückzug vorstellen.
Doch hier zeigen sich die Grenzen eines zypriotischen Gipfels. Was den Abzug der Truppen angeht, wird die Musik nicht in der „Türkischen Republik Nordzypern“, sondern in Ankara gespielt. Nordzypern hängt wirtschaftlich und militärisch am Tropf des „Mutterlandes“ Türkei, und solange von dort keine neuen Direktiven kommen, kann auch UN -Drahtseilkünstler Perez nichts ausrichten.
Die Rolle Griechenlands
und der Türkei
Doch wenn der Gipfel in Genf scheitert, hängt auch der Haussegen beim „Mutterland“ der Zyperngriechen im fernen Athen schief. Und genau das steht kaum im Interesse des türkischen Ministerpräsidenten Özal, der sich von besseren Beziehungen mit Griechenland wirtschaftliche Hilfen und (in weiter Ferne) eine EG-Mitgliedschaft erhofft. Dementsprechend hat niemand außer Denktasch - der wenig zu sagen hat - ein Interesse daran, daß aus dem Schweizer Dinner eine Tortenschlacht wird. Doch auch bei einem Erfolg des Mahls am Genfer See müssen noch viele Gräten geschluckt werden. Danach sollen zunächst Expertenteams gebildet werden, um die Einzelheiten einer Lösung auszuarbeiten. Nur der Termin für den Frieden auf der „Insel der Aphrodite“ steht schon fest: Perez will seinen nächsten Erfolg im Juni 1989 feiern.
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