: Geiselwille geht vor Staatsräson
■ Horst Isola, Bremer Justiz-Senatsrat und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (ASJ), bezieht Stellung gegen den „finalen Todesschuß“
taz: Wird Bremen jetzt den sogenannten finalen Rettungsschuß ins Polizeirecht einführen?
Isola: Mir ist bislang eine Diskussion darüber nicht bekannt. Ich glaube auch nicht, daß dies so kommen wird. Die Position nicht nur der Bremer SPD, sondern auch der SPD generell, insbesondere natürlich auch der ASJ, ist klar: Wir lehnen diesen Todesschuß als staatlichen Hoheitsakt ab.
Was gibt es unterhalb der Ebene des Todesschusses?
Man unterscheidet zwischen dem Nothilferecht, das jedermann zusteht, jedem Bürger, und damit auch jedem Polizisten. In einer Notwehrsituation darf man natürlich schießen. Nothilfe bedeutet, daß man einem anderen zu Hilfe kommt in einer entsprechenden Gefahrensituation.
Nun haben offenbar die MEK-Beamten aus der Raststätte Grundbergsee zusammengestanden und beratschlagt, ob sie im Sinne von Nothilfe ohne Befehl zuschlagen sollen.
Natürlich kann man aufgrund einer Lagebeurteilung zu dem Ergebnis kommen, daß man die Geisel nicht anders befreien kann. Voraussetzung ist, daß sie sich in einer gegenwärtigen Gefahr befindet, aber – das ist das Entscheidende beim Nothilferecht – es muß eine Abwägung der Rechtsgüter erfolgen. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit muß beachtet werden. Das heißt, beim Nothilferecht muß derjenige, der schießt, auch vorher den erklärten Willen des zu Schützenden abklären. Notwehr und Nothilfe sind nicht möglich gegen den Willen des zu schützenden. In der Regel muß man vom mutmaßlichen Willen der Geisel ausgehen, weil man sie nicht fragen kann. Sie wird in der Regel einen Todesschuß ablehnen, weil sie sich selber gefährdet sieht. Daher legen wir als sozialdemokratische Juristen Wert darauf, daß diese Rechtssituation nicht geändert wird. Es darf nicht soweit kommen – das würde beim staatlichen Todesschuß der Fall sein – daß auf das Lebensrecht der Geisel möglicherweise keine Rücksicht mehr genommen wird und ein anderer Grundsatz in den Vordergrund tritt, nämlich: der Staat darf der Gewalt nicht weichen.
Vor der Schießerei, mit der die Polizei der Geiselnahme das blutige Ende setzte, lag die ausdrückliche Erklärung einer Geisel vor, die Polizei möge sich zurückhalten. Gibt es dann noch eine Rechtsgrundlage für einen derartigen Einsatz?
Damit ist ein erklärter Wille vorhanden, daß die Geisel Nothilfe ablehnt. Damit ist die Rechtsgrundlage für einen Todesschuß nicht mehr gegeben.
Welche Rechtsgrundlage gab es denn für die Schießerei auf der Autobahn?
Im nordrhein-westfälischen Polizeigesetz gibt es den staatlichen Todesschuß nicht, nur in Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz. Auch in NRW gelten die Grundsätze des Nothilferechts.
Das heißt, es gab keine Rechtsgrundlage...
Das kann ich im Einzelnen nicht sagen, weil dafür der Sachverhalt genau geklärt werden muß.
Was sollte die Polizei tun bei erpresserischen Geiselnahmen?
Mit dem Grundgesetz im Einklang ist nur die eine Strategie: statt der Anwendung der Gewalt das Mittel der Verhandlung einzusetzen, und wenn man sich die Bilanz der Geiselnahmen der letzten 15 Jahre ansieht, dann stellt man fest, daß letztlich immer dieses Mittel der Kommunikation zu einer erfolgreichen Beendigung von Geiselnahmen, d.h. ohne Blutvergießen, geführt hat. Umgekehrt ist es da, wo Gewalt eingesetzt worden ist, jedesmal zu einer Tragödie gekommen.
Interview: Klaus Wolschner
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