Verkehrte Fronten

Auf den ersten Blick wirken die Fronten verquer: SPD -Abgeordnete sind für den Einsatz von Bundeswehreinheiten als Bestandteil von UNO-Truppen, CDU/CSU-Parlamentarier sträuben sich. Und dabei ist es das unionsgeführte Bundesverteidigungsministerium, das die NATO-Arbeitsteilung von ihren geographischen Fesseln befreien möchte. Die SPD ihrerseits hält nichts von einer grundsätzlichen Ausweitung des Operationsgebietes.

Die Debatte um Bundeswehr und UNO-Truppen nimmt sich also wie ein Paradoxon aus, erst beim zweiten Hinsehen löst es sich auf: Die SPD-Abgeordneten wollen nämlich mit einer Grundgesetzänderung dem Truppeneinsatz gleichzeitig noch klarere Grenzen ziehen als bisher - was wiederum der Union gar nicht recht ist. Nach SPD-Vorstellung soll der Artikel24 GG künftig einen Absatz drei erhalten, der festlegt: „Die Streitkräfte des Bundes dürfen außerhalb der Grenzen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit, dem der Bund als Mitglied beigetreten ist, nur (...) mit Zustimmung des Sicherheitsrates (der UNO, d. Red.) und der Konfliktparteien bei friedenssichernden Maßnahmen der Vereinten Nationen eingesetzt werden.“

Ein solcher Passus in der Verfassung schlösse NATO-Einsätze bundesdeutscher Soldaten beispielsweise in der Golfregion derzeit eindeutig aus.

Und dennoch, der SPD-Vorschlag hat einen scharfen Haken: Gesetze und Verträge lassen sich nämlich ändern. Die von der SPD gewollte einschränkende Wirkung entfällt, wenn die im NATO-Vertrag festgelegte territoriale Begrenzung aufgehoben wird (was immer wieder überlegt wird) oder wenn die BRD einem weiteren „kollektiven Sicherheitssystem“ mit anderen oder ohne Grenzen beitritt.

Interessanter sind die in der Bonner Debatte äußerst raren politischen Argumente. Klar und unmißverständlich äußern sich vor allem Unions-PolitikerInnen: „Größere weltpolitische Verantwortung“ will die in dieser Debatte besonders engagierte CSU-Abgeordnete Michaela Geiger der BRD übertragen wissen. Und der Vorsitzende der CDU/CSU -Arbeitsgruppe Verteidigung, Willy Wimmer, möchte, „daß wir selbstverständlicher und selbst

bewußter handeln“, denn: „Schwarz-rot-gold braucht sich nicht zu verstecken.“ Wimmer ist allerdings Pragmatiker. Er weiß, wie wichtig für die gewünschte Ausweitung des internationalen Einflusses ein gutes Image ist: „Mir ist das derzeitige Erscheinungsbild der deutschen Streitkräfte im Rahmen der Ausrüstungshilfe oder der humanitären Aktionen wichtiger als alles andere.

Es gibt keinen Grund, deutsche Streitkräfte in mögliche Kampfsituationen zu verwickeln, die sich irgendwo in der Dritten Welt abspielen könnten.“ Neben Wimmer und Geiger hat sich auch Kanzlerberater Horst Teltschik gegen „die Abstinenz der Bundesrepublik bei Aufgaben der internationalen Friedenssicherung“ ausgesprochen. Die mögliche schlechte Außenwirkung ist dagegen für Außenminister Genscher immer wieder der Grund gewesen, bundesdeutsche UNO-Soldaten abzulehnen: „Unsere Aufgabe in der Welt liegt nicht darin, als militärische Ordnungsmacht aufzutreten, sondern als Friedenskraft in der Welt Verantwortung zu erfüllen.“ Genscher kollidiert damit allerdings mit dem Wehrexperten seiner Partei, Feldmann, der schon mehrmals seine Sympathie für Bundeswehreinsätze innerhalb einer UNO-Truppe erklärt hat.

Hinter dem jüngsten SPD-Vorstoß stehen die Abgeordneten Gansel, Scheer, Voigt und Bahr. Ihr Ziel: „Ein Beitrag zur notwendigen Stärkung des Gedankens der Vereinten Nationen.“ Darin, so erklärte Norbert Gansel gegenüber der taz, spiegle sich ein Stück Utopie wider: schließlich könne die Perspektive eines friedlichen Zusammenlebens nicht auf Dauer durch zwei sich waffenstarrend gegenüberstehende hegemoniale Militärmächte, wie es die Sowjetunion und USA seien, geschaffen werden. „Die Möglichkeit, Bundeswehreinheiten unter UN-Kommando zu stellen, ist eine Weiterentwicklung der Unterstellung von Bundeswehreinheiten unter NATO-Kommando“, formuliert es das entsprechende Arbeitsgruppenpapier durchaus zweischneidig: „In der Entwicklung von der Nationalstreitkraft über die NATO-Streitkraft zur internationalen Streitkraft muß sich für die Zukunft ein fortschrittliches Selbstverständnis der Streitkräfte entwickeln.“ Bei soviel Fortschritt spielt die Tradition der deutschen Streitkräfte gar keine Rolle mehr: Der Angriffskrieg wird mit keiner Silbe erwähnt, es sei denn, er versteckt sich hinter der vornehmen Formel von den „Belastungen und Erfahrungen unserer Geschichte“.

Allein die Grünen haben den Abschied aus der deutschen Geschichte in die so angenehm neutrale Zukunft internationaler Politik und Intervention nicht vollzogen und sind deswegen als einzige der Bonner Parteien strikt gegen jeden Bundeswehreinsatz „out of area“. Daß sie die gegenteilige Position ihres Abgeordneten Mechtersheimer (siehe das gestrige taz-Interview mit Mechtersheimer) nur mit einer schwachen, bislang folgenlosen Kritik belegt haben, stellt die Festigkeit ihrer Position allerdings in Frage.

Oliver Tolmein