: Seh'n oder Nichtseh'n
■ „Montagsthema“ in der Nordkette: „Geiselnahme - ein Medienspektakel?“
Befremdlich und zugleich - bezeichnenderweise unbewußt noch einen draufsetzend war der Einstieg in die Diskussion: Ein geraffter Zusammenschnitt der Ereignisse, wie sie im Fernsehen präsentiert worden sind. Darunter der Moment, als Rösner im Auto seinen Revolver gegen den Hals von Silke Bischoff drückt - und zwar in Zeitlupe: Als Über -Inszenierung der von den Medien ohnehin schon wie eine Inszenierung vermittelten Wirklichkeit. War das nun obendrein nötig, nachträglich noch zum ästhetisch dramatisierenden Mittel der Bildverlangsamung zu greifen?
Aber das wurde nicht Gegenstand dieser Diskussion, die Aktualität ist alles, auch wenn die Diskutanten nur über die Oberfläche schrummeln - kurzfristig anstelle des eigentlich vorgesehenen Themas „Scheckbuchjournalismus“ gesendet wurde. Geleitet vom Radio-Bremen-Fernseh-Chefredakteur Ulrich Kienzle mit vollmundig-inhaltsleeren Fragen - „Sind wir auf dem Weg, amerikanische Verhältnisse zu bekommen?“ oder „Waren die Journalisten Komplizen der Verbrecher?“ bis zur beliebten, Lehre-daraus-ziehenden Abschlußfrage „Was tun?“ von Fragen dieser denkfaulen, reißerischen Art also geleitet, fischten fünf Männer weitgehend im Trüben: Manfred Buchwald, Chefredakteur vom Hessischen Rundfunk; Johannes Gerster von der CDU/CSU; Hermann Lutz von der Gewerkschaft der Polizei; Joachim Wagner von „Panorama“ und Wolfgang Clement von der „Morgenpost“.
An dieser Zusammensetzung kann man schon sehen, daß wechselseitige Schuldzuweisungen den Diskussionsverlauf mitbestimmten. Wenn auch unaggressiv, wurde doch die Verantwortung hin-und hergeschoben: Polizeilicherseits hieß es, die ständige Anwesenheit der Presse habe „die operative Basis“ kaputtgemacht, während Wagner von „Panorama“ der Polizei mit Recht vorhielt, daß sie bei Demonstrationen ja auch nie Probleme hätte, die journalistische Berichterstattung zu behindern. Und dann natürlich: Die fortschreitende Kommerzialisierung und Privatisierung des Medienwesens sei schuld daran, daß manche Journalisten jeden „Anstand“ verloren hätten. Man sei ja dermaßen im Konkurrenzdruck, und dafür sei - Finger auf Gerster von der CDU/CSU - seine Partei mitverantwortlich.
Der wiederum sprach viel von „Schamgrenze“ und ihrer Verletzung durch die Presse, während Manfred Buchwald - als einziger der anwesenden Medienmänner - starrsinnig und Analyse-verweigernd von „Perversion des Journalismus“ sprach, sich allerdings auch hinter dem hochbeliebten Buhmann Kommerzialisierung versteckte: Es sei eben „dieser Druck“, der zur Ausstrahlung solcher Bilder zwinge - als wäre das öffenlich-rechtliche Anstaltswesen erst von den Privaten aus dem Stand der Unschuld und des moralisch -gefestigten Journalismus vertrieben worden.
Von „Moral“, „Besonnenheit“, „Konsens“, von nicht-wieder-so -machen und „Presse und Polizei in Zukunft gemeinsam“ und „jeder für sich seine Aufgabe wahrnehmen“ war reichlich viel die Rede: Sie saßen ja schließlich alle irgendwie im Glashaus, und keiner traute sich so recht, den ersten Stein zu werfen. Aber mit diesem Diskussionsleiter und in dieser Zusammensetzung war von vornherein jede Chance verbaut, sich journalistisch-medienanalytisch und nicht künstlich betreten oder vorwurfsvoll mit jenem „Medienspektakel“ auseinanderzusetzen.
Sybille Simon-Zülch
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