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PROVINZ STATT PROVOKATION

■ Eine „italienische Nacht“ in der Ufa-Fabrik

Los geht die Musi immer extrapsychedelisch mit Glöckchenspielklingklang, brausenden Winden und grillendem Zirpen vom Synthi: was haben wir uns schon 1972 dabei gelangweilt. Nervös nestelt der Riminist mit gepflegtem Kinnbart und top-aktuellem sportlichen Blouson am Programmblatt, der blaß-schüchterne Sängerknabe mit den großen Füßen danksagend an seinem Mikroständer und die modehungrigen Mädels an ihren Handtäschchen - ein einig Volk von verzweifelten Grinsern. Ja is es denn die Möchlichkeit, das soll die versprochene „italienische Nacht“ sein! Mit Modeperformances, Konzerten und den besten DJs von Radio Citta del Capo! Das beste aus Bologna, wo die städtischen drei Punks Tonnen von nachgebildeten Venusbauchnabeln aus Nudelteig verschlingen.

Die Konzertiererei beschränkte sich also aufs schier unbeschränkte Konzertieren der „Noise Boys“ mit ihren zehn bis zwölf selbstgestrickten Postpsychedelic-postdavidbowie -postpunk-postcure-Liedlein aus der Übungskellerei, die so verlockende Namen tragen wie „Nylon“, „Tango in the Jungle“ oder gar „The alarm clock is still ringing“, was einem dann auch prompt auf den Wecker geht, ha ha. Aber der Synthi -Bediener, ja der versteht sein Handwerk und auch den Hänschen-Rosenthal-Gedächtnissprung, den beherrscht der voll und tut außerdem wenigstens nicht so, als könne er singen, eine Eigenschaft, die der sich die Haare raufenden Locke (Sänger) durchaus abgeht. Nur das Generalsax sollte sich nicht immer so schenant hinter seinem Notenständer verstecken. Alles ist aber doch irgendwie ganz schön existentiell, denn stets wälzt sich wer wo herum, da will einfach irgendwas heraus, was das Publikum sogleich versteht und harndrängend nach draußen strebt. Es ist 21.30 Uhr

„Soll da jetzt net die Modeschau sei, warum kennet die die net vorher macha?! Pause bis 23.15 Uhr mit reizender Salsa -Musik vom Band. Letkiss zu La Bamba - Damen in Gesundheitsschuhen, Herren in eleganten braunen Kordhosen mit Polohemd und Schleckhaarschnitt, junge Pionierinnen mit weißer Bluse und rotem Halstuch (Lateinamerika lebe hoch, hoch, hoch!) und endlich schüttelte sich auch die junggebliebene Lehrerin neben mir, die mich schon die ganze Zeit mit Gewalt von der Rasenbank am Elterngrab zerren wollte - Einsatz für die Kodak-Instamatik. Das war eine richtig schöne Nichtraucher-Party im Jugendfreizeitheim Gummersbach-Ost, der auch das anschließende öffentliche Frisieren, Sich-Verkleiden-Spielen und Hüteausprobieren auf der Turnhallenbühne keinen Abbruch tat. Nur, daß es schon nach ein Uhr war als das fröhliche Treiben ein Ende nahm, das gefällt dem Erzieher gar nicht.

Nachtschwester Gaby

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