: Geiselnahme-betr.: Kommentar "54 Stunden", taz vom 19.8.88
betr.: Kommentar „54 Stunden“, taz vom 19.8.88
(...) Mit einer Geiselnahme spekulieren die Bankräuber auf eine diffuse Menschlichkeit der Gegenseite, das heißt, sie setzen das offensichtliche Interesse der Geiseln an körperlicher Unversehrtheit in ihrem Sinne ein. Dagegen steht das staatliche Interesse an Strafverfolgung besonders von Kapitalverbrechen zwecks Aufrechterhaltung des allgemeinen Rechtsbewußtseins. Dies fällt zusammen mit den Interessen der Bank bzw. aller Banken, deren Kohle nur solange sicher ist, wie die Rechtsordnung („Das Eigentum ...(ist) gewährleistet.“ Art. 14 GG) durchgesetzt werden kann.
Der Vorschlag der Bankräuber, sie ziehen zu lassen und zu warten, bis sie die Geiseln freilassen, wäre die zweifellos unblutigste Lösung der Geschichte gewesen. Doch angesichts der entgegenstehenden Interessenkoalition rückt er gar nicht ins öffentliche Bewußtsein und leider auch nicht in eures, die ihr mal angetreten seid mit dem Anspruch auf Gegenöffentlichkeit. Stattdessen bedauert Hartung ganz allgemein den unfriedlichen Verlauf, die fehlende Gesprächsbereitschaft der Politiker, die Scharfmacherei der Medien usw. Sicherlich findet er damit die Zustimmung eines breiten, liberal-undogmatischen Publikums, das die gesellschaftlichen Verkehrsformen auch gerne ein bißchen gewaltfreier hätte.
Aber meine findet er nicht, denn nach meinem Dafürhalten gibt erst das Bemühen um analytische Kriterien einem Kommentar die notwendige Kontur, so daß man von einem Standpunkt sprechen kann. Hartungs abstrakt-humanistische Auslassungen dagegen scheinen mir bezeichnend zu sein für den generellen Trend eurer Zeitung: Weg von der „linken, radikalen“, hin zur „guten“ taz. (...)
Volker Meudt, Bremen 1
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