: Scheitern eines kleinen Spitzels
„Die vergessene Insel“ von James Dearden: Der Film basiert auf dem Roman „Pascali's Island“ von Barry Unsworth, betont aber nicht dessen Spannungselemente, sondern gibt sich ruhig und schön ■ Von Wilfried Hippen
Spitzel gehörten immer zu den Fiesen! Das war wie eine Konstante in der Literatur oder in Filmen: Die heimlichen Schnüffler, die ihre Nachbarn aushorchen und Berichte an die Machthaber schicken, wurden meist als verschlagene Feiglinge portraitiert.
Aber „Die vergessene Insel“ handelt von Basil Pascali, der ein unbedeutender Spitzel ist - und ein tragische Held. Zwanzig Jahre lang hat er auf einer kleinen, griechischen Insel unter türkischer Besetzung für den Sultan in Konstantinopel Berichte geschrieben. Nie gab es eine Antwort, nur sein dürftiger Lohn wurde monatlich überwiesen.
Wahrscheinlich wurden seine Aufzeichnungen nie gelesen, aber jetzt, im Jahre 1908, verfällt das osmanische Reich zusehends, auch auf der Insel wächst der Widerstand der Griechen, und es wird gefährlich für Pascali.
Da kommt ein geheimnisvoller Engländer im Hafen an, und der von Ängsten und Selbstzweifeln geplagte Pascali wittert seine große Chance: den Ausländer als Spion oder Feind des Sultans zu entlarven, um einmal wirklich sinnvoll seinen Beruf auszuüben, vielleicht einmal eine Antwort auf einen Bericht zu erhalten und dann heimzufahren, nach Konstantinopel.
Er bietet sich dem angeblichen
Archäologen Anthony Bowles als Dolmetscher an und wird bald in dessen undurchsichtige Geschäfte mit dem mächtigen Pascha der Insel verwickelt.
Bowles ist ein Abenteurer und raffinierter Betrüger, und sein Trick, mit dem er den kleinen Potentaten Kleinasiens ein paar Tausender aus den Taschen zieht, gelingt ihm auch beinahe auf Pascalis Insel: Der Pascha glaubt ihm den Schwindel von den wertvollen archäologischen Funden und ist bereit, viel Geld für sein eigenes Land zu zahlen, um Bowles loszuwerden.
Aber da entdeckt der Brite tatsächlich eine antike Bronzestatue, und mit der unvorsichtigen Leidenschaft des Betrügers, des
sen Erfindungen einmal von der Realität übertroffen werden, beginnt er tatsächlich, die Statue auszugraben. Er und Pascali kommen in immer bedrohlicherer und unübersichtlichere Situationen.
Nichts an dem zweiten Spielfilm des jungen James Dearden gibt einen Hinweis darauf, daß er das Drehbuch des sehr erfolgreichen und spekulativen Filmes „Eine verhängnisvolle Affäre“ geschrieben hat.
Basierend auf dem Roman „Pascali's Island“ von Barry Unsworth, inszenierte er nicht mit Betonung auf den Spannungselementen der Story; stattdessen hat er einen ruhigen, sehr behutsamen und schön fotografierten Film gemacht, in dem er nur manchmal der Exotik des Drehortes erlag: bei einigen dekorativen Touristenansichten, die ein erfahrenerer Regisseur sicher wieder herausgeschnitten hätte.
Ansonsten konzentriert er sich ganz auf das Portrait das Spitzels Pascali. Dessen Ängste, Alpträume und einsames Arbeiten über den Berichten am Schreibtisch sind Dearden wichtiger als die komplizierten Verwicklungen des Plots, oder etwa die Liebesgeschichte zwischen Bowles und der reichen Malerin Lydia.
Pascali stürzt immer tiefer in eine existenzielle Krise. Er erkennt, wie überflüssig seine Ar
beit war, daß er sein Leben als Außenseiter auf der Insel sinnlos verbracht hat.
Sein völliges Scheitern und die Erkenntnis der Nutzlosigkeit seines gesamten Lebensentwurfs werden zum Hauptthema des Films.
Ben Kingsley spielt Pascali als nachdenklichen und verletzlichen Mann, der auch in demütigenden Situationen immer einen Rest von Würde behält. Durch seine etwas zögernden Bewegungen, die ständig suchenden Augen und sein Lächeln, das zum Teil Unterwürfigkeit, zum Teil Schmerz ausdrückt, gibt er Pascali genügend Tiefe, sodaß er nicht als ein erbärmlicher Untertan, sondern tatsächlich als tragischer Held wirkt.
„Die Verlorene Insel“ erzählt zwar eine Episode aus den letzten Tagen des türkischen Reiches, aber nur ein Brite konnte die melancholische Atmosphäre des langsamen Untergangs so stimmig inszenieren.
Im Grunde erzählen die Briten hier ja auch die Geschichte ihrer eigenen Vergangenheit, ihres zerfallenen Empires. Und so hat Kingsley, auch wenn er den Türken genauso großartig und überzeugend spielt wie den Gandhi in Attenboroughs Film, immer etwas durch und durch Britisches an sich.
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