SADO-MASO FOR SAFER SEX?

■ Research-Videos von Scott Shatz

Filmagenten, ausgerüstet mit hochprofessionellem Super-8 -Video-Equipment, streifen mit ihren Kameras durch die Metropolen, belagern die öffentlichen Plätze, tauchen in den U-Bahnstationen unter und in den Bars, Cafes und Schnellrestaurants wieder auf. Sie wollen mehr als nur Leben dokumentieren, das sie zufällig vors Objektiv bekommen. Mit ihren Kameras forschen, untersuchen und tasten sie ihre Umgebung nach den Fiktionen ab, die im zufälligen Zusammenspiel von Bild- und Tonspur eine neue Wirklichkeit ergeben. Kommunikation und Sexualität, Identität und Veränderung: Research-Videos.

Scott Shatz ist einer dieser Filmagenten, sein Arbeitsbereich ist San Francisco. An einem Wintertag Anfang Januar diesen Jahres begegnet er in einem Schwulen-Buchladen einem Mann, der ihn offensichtlich „Cruisen“ will. „Ich sah zu ihm rüber, lächelte und verließ den Laden. Er folgte mir und nach einem halben Block hielt er mich an einer roten Ampel an. Er sagte „Hello“ und fragte mich direkt, ob ich Lust hätte zu spielen. Ich fragte ihn, was er damit meine und er antwortete „Magst du sado-masochistische Spiele?“ Der Mann, sein S/M-Kosename ist Strap, gibt Scott seine Visitenkarte, auf der unter der Telefonnummer die Spiele aufgelistet sind, die er bevorzugt. Eine Woche später fühlt sich Scott bereit für seinen ersten S/M-Kontakt. Aber er kommt nicht allein, bringt noch seine Videokamera mit.

Für mich war es die einzige Möglichkeit unter diesen Umständen mit einem Fremden zusammenzukommen - dieser Gelegenheits-Sex, wenn er unter solchen Bedingungen festgelegt ist, bei denen ich weiß, daß ich unten liege, dominiert werde, zum ersten Mal in so einem Szenario, da mußte ich das einfach aufzeichnen.“

Die Kamera als Selbstschutz? Ja, so benutze ich meine Kamera immer, nicht um mich dahinter zu verstecken, sondern als Psychoanalyse für mich selbst... Ich blicke durch die Kamera, sehe etwas und zeichne es auf, und dadurch sind alle Möglichkeiten gewährt, es immer wieder neu zu sehen... ein Großteil meiner Forschungen hat mit psycho-sexuellen Beziehungen zu tun und ich war mir sicher, daß dieses Erlebnis mir auf jeden Fall hilfreich sein würde.“ Strap ist mit der Kamera als Beobachter einverstanden nachdem Scott ihm versichert, daß das Band in erster Linie nur für ihn selbst bestimmt ist und jedes öffentliche Zeigen von Straps Zustimmung abhängt.

Der Spielplatz ist ein riesiges Bett mit Pfosten, um Leute daran zu fesseln. Wo aber die Kamera aufstellen, in welcher Position ist sie akzeptabel ohne die Sexhandlungen zu beeinflußen und zu manipulieren? „Ich postierte die Kamera etwas vom Bettrand entfernt, um ihre Anwesenheit in dieser Intimität nicht zu stark hervorzuheben; durch die Kamera stellt sich immer zu schnell das Gefühl des Schauspielerns ein.“ Strap hat außerdem die Möglichkeit, jederzeit die Kamera auszuschalten, wenn ihm danach ist. „Er entschloß sich nur einmal sie auszuschalten, als wir von der physischen Aktion eine Pause machten und miteinander redeten. Es ist ein bißchen unglücklich, weil gerade dieses Gespräch sehr viel von dem erklärt, was passierte.“ Warum will einer dominieren, schlagen, welchen Genuß bereitet es ihm? „Er erzählte von seinem Vater, der ihn seiner Meinung nach nicht genug geschlagen hat - um Macht zu fühlen, mußte er erst lernen, richtig zu schlagen. Er redete wütend über seinen Vater, einen Holzprügel gegen die Innenfläche seiner Hand klatschend.“ Der Zuschauer beobachtet mit wachsender Unsicherheit dieses S/M-Spiel, übernimmt zusehends selbst die Funktion der Kamera, die ausschließlich registriert, ohne einzugreifen und zu verändern; die Sensibilität für die Geräusche steigert sich fast ins Unerträgliche, das Stöhnen, das Schlagen auf nackter Haut. Scott, der sein Video immer nur persönlich zeigt, mutet viel zu und gerade das macht Mut. Diese Sex-Darstellung löst keine peinliche Berührtheit oder moralische Verlegenheit aus. „Es ist einfach deshalb für manche zu viel, weil ich mich hier wirklich aussetze und bloßstelle und es geht nicht nur um Sex, es sind alle meine Ängste, die da rausfließen.“ In einem Moment totalen Unwohlseins fragt er Strap nach Polaroids von seinen Lovern; Vertrautheit und Entspannung fließen nahtlos ein in diese hochelektrisierte Atmosphäre. Es existiert für Scott keine reale Bedrohung in seinem Ausgeliefertsein, die Grenzen, psychisch wie physisch sind abgesteckt, werden von Strap verstanden und eingehalten.

Hat es weh getan? Wie hast du dich bei dem Riemen gefühlt? Wieviel kannst du vertragen? Was ist bei dir befreit worden? „Inzwischen bin ich so weit, dies nicht mehr als die große Erfahrung anzusehen; eher daß ich mich selbst dazu gezwungen habe, den Punkt zu finden, an dem mir Schmerz Vergnügen bereitet. Aber nicht physischer Schmerz und physische Freude, sondern eine emotionale Befreiung durch die geistige Freude zu wissen, daß ich an den Punkt gelangt bin, wo es mich nicht mehr schmerzt, geschlagen zu werden.“

Sado-Maso for Safer Sex? „Strap“ löst durch seine unverblümte Direktheit im Kopf die Wühlarbeit aus, nach eigenen Ängsten und selbstauferlegten Kontrollmechanismen, aber auch nach Alternativen der Lust, zu bohren. Für Scott waren die Erfahrungen mit S/M auch ein Anstoß, noch aggressiver zu werden im Kampf gegen die Repressionen durch AIDS, gerade in einer Situation, die nicht sonderlich ermutigend ist. In „INFECTION“ suggeriert der eingeblendete Text „Scott is cutting his finger“ Blut und Schmerz, aber durch die Kameradistanz und die verfremdete Tonspur, das zufällige aufgenommene Telefongespräch einer lesbischen Freundin, läuft diese Erwartung ins Leere. Scott sitzt am Tisch, betupft seinen infizierten Finger mit Alkohol und schneidet an der entzündeten Stelle herum. „Das Video ist fünf Minuten lang und zeigt, wie ich fünf Minuten rumbrachte.“

„Of Man; For Dad“ ist dagegen eine drastische Abrechnung mit der sexuellen Repression in seiner Familie; idyllische Traute-Heim-Aufnahmen, die er mit teilweise abstrakt verfremdeten Masturbations- und Sodomieszenen verschnitten hat.

Andreas Döhler

Videos von Scott Shatz, heute um 21 Uhr im Kino Eiszeit und am 31.8. Gallery So To Do im Fischlabor Kyffhäuser Straße