piwik no script img

Zuchtbulle will keiner werden

■ Welche Bündnisperspektiven gibt es zwischen Männern und Frauen gegen Gen- und Reprotechnologien? Wenn der Zeugungsakt technischer Rationalität geopfert werden soll, sind beide Geschlechter betroffen Eine Replik auf Teil I der Serie über „High Tech im Bauch“ / Von Volker Haupt und Andreas Versmann

Die Einschätzung der Reproduktionstechnologien gehört zu den Themen der Frauenbewegung, bei denen ein Konsens bisher nicht in Sicht ist. Einigkeit scheint nur in einem Punkt zu bestehen: Nach wie vor wird versucht, die Problematik der künstlichen Befruchtung aus einer dezidiert geschlechtsspezifischen Perspektive zu hinterfragen. Im folgenden geht es uns darum, bisher wenig berücksichtigten Argumenten Geltung zu verschaffen und damit gleichermaßen Gegensätze und Bündnisperspektiven zwischen Frauen und Männern aufzuzeigen.

Im ersten Teil ihrer Serie zur Gen- und Reproduktionstechnologie (taz v. 4.8.88) hat Gunhild Schöller verschiedene Einwände gegen diese Technik zusammengetragen. Wenngleich der inzwischen traditionelle Begriff des „weiblichen Selbstbestimmungsrechts“ bei ihr fehlt, argumentiert die Autorin doch vorrangig vom Frauenstandpunkt aus. Ausgehend von einem „individuellen, unabweisbaren Interesse der Frau, über ihren Körper und die damit verbundene Leibesfrucht selbst zu entscheiden“, kritisiert sie den zur Beratung anstehenden Entwurf eines „Embryonenschutzgesetzes“. Die im europäischen Maßstab restriktive Vorlage verbietet nicht die Reagenzglas -Befruchtung und sei deshalb mit den Grünen und FINRRAGE, dem feministischen Netzwerk gegen Gen- und Reproduktionstechnologien, abzulehnen. Nach Schöller erklärt sich der Vormarsch dieser Technik vorrangig aus männlichen Macht- und Verwertungsinteressen. Über welche Spielräume die Frauen als Nutzerinnen oder Gegnerinnen dieser Technik verfügen, wird dagegen nicht thematisiert. Wobei wir mit der Autorin die Einschätzung teilen, daß in der konservativen Aufwertung der gerade befruchteten Eizelle als „menschliches Leben“ die argumentative Mobilmachung gegen eine liberale Abtreibungspraxis gesehen werden muß. Für Männer ergeben sich damit aber kaum Gründe, in Sachen Reproduktionstechnologie das hohe Lied strafbewehrter Ordnungspolitik zu singen.

Verständnis statt Strafrecht

Die Anwendung der Reproduktionstechnologie ist zumindest hierzulande ohne die Zustimmung von Frauen nicht denkbar. Ob Wachstumsbranche oder rote Zahlen, darüber scheiden nicht zuletzt die Frauen. Jede kritische Argumentation sollte deshalb auch nach den jeweiligen Bedürfnissen und Ansichten der potentiellen Nutzerinnen fragen. Dies setzt zunächst Verständnis, nicht aber strafrechliche Überlegungen voraus.

Ein Seitenblick auf Teile der amerikanischen Frauenbewegung, die das Verbot der Leihmutterschaft als gegen den ureigensten Bauch gerichteten Staatsinterventionismus geißeln, zeigt sehr schnell, daß weibliche Selbstbestimmung nicht immer mit einer aus feministischer Sicht „richtigen Meinung“ identisch sein muß (vgl. taz v. 1.8.87). Der Hauptfehler Schöllers besteht unserer Einschätzung nach darin, aus dem Interesse von Frauen, über ihren Körper selbst entscheiden zu können, den Schluß zu ziehen, es gebe ein praktisches Desinteresse gegenüber der Inanspruchnahme dieser Technik.

Die Autorin entzieht sich diesem Einwand mit der Behauptung, die weibliche Nachfrage sei durch das entsprechende Angebot erst geschaffen worden. Darüber, welchen Bedürfnissen von Frauen dieses Angebot entgegenkommt, wird allerdings nichts gesagt. Vielleicht ungewollt bleibt sie damit für jene Positionen anschlußfähig, die Angebot mit Manipulation gleichsetzen und „falsche“ von „richtigen“ Bedürfnissen meinen scheiden zu können. Eine solche Argumentation läuft jedoch Gefahr der Selbstausgrenzung und verspielt damit unnötig Einflußchancen. Denn die moralische Ächtung potentieller Kundinnen der Reproduktionswirtschaft steht nicht nur im Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht, sondern reduziert bei den Beteiligten auch die Bereitschaft zur Auseinandersetzung.

An dieser Stelle dürfen auch grundsätzlich Zweifel an einer anderen Argumentationsfigur angemeldet werden, welche die eigentliche Gefahr der Reproduktionstechnologie in der industriellen Entzauberung der über Gebärfähigkeit vermittelten weiblichen Macht sieht. Gunhild Schöller spricht in diesem Zusammenhang von „Experimenten, die das Ziel haben, die Fortpflanzung, die jetzt noch zu einem großen Teil in der Macht der Frauen liegt, technisch herzustellen und manipulierbar zu machen“. Wir halten es für inhaltlich und strategisch verfehlt, gesellschaftliche Macht aus geschlechtsspezifischen Unterschieden zu folgern. Die feministische Literatur ist reich an Beispielen dafür, wieviele Nachteile für Frauen gerade aus ihrer natürlichen Gebärfähigkeit resultieren.

Egozentrischer Kinderwunsch

Die Autorin macht dem anstehenden Gesetzesvorhaben zurecht den Vorwurf, die gesundheitliche Belastung der Frauen bei Eingriffen zur künstlichen Befruchtung nicht hinreichend berücksichtigt zu haben. Aus dieser Perspektive polemisiert sie gegen die ausführliche Erörterung der Probleme, die für das Kind aus einer in-vitro-Befruchtung folgen können. Sie scheint diese Probleme für zweitrangig zu halten. Potenzielle Nutzerinnen dürfen diesen Argumenten dagegen besonders aufgeschlossen sein. Darüber hinaus ist die Gefahr der Schädigung von Physis oder Psyche eines zur Welt gebrachten Kindes auch im allgemeinen Interesse gegen den z.T. egozentrischen Kinderwunsch von Paaren zu berücksichtigen.

In diesem Zusammenhang verdient die Studie von P.Petersen (Mitglied der Benda-Kommission) über „gynäkologische Psychosomatik“ erhöhte Aufmerksamkeit. Nach Petersen äußert sich in den Fällen nicht erklärbarer Unfurchtbarkeit häufig ein psychosomatischer Widerstand. Im Fall der künstlichen Befruchtung schließt er deshalb negative Folgen auf die Psyche des künftigen Kindes nicht aus. Auf jeden Fall führt die Künstlichkeit des medizinischen Vorgangs zu ungünstigen Entwicklungsbedingungen des Embryos und damit auch zu gesundheitlichen Problemen für die Frau. Immerhin werden 50 Prozent aller künstlich erzeugten Schwangerschaften durch einen Abort vorzeitig beendet.

Umso überraschender ist es für uns, daß die Frauenbewegung, der wir die Wiederentdeckung unbewußter Körpervorgänge maßgeblich verdanken, hier nicht engagierter diskutiert. Sicherlich ist auch richtig, daß die Reproduktionstechnologie bei biologischer Unfruchtbarkeit nur die Symptome, nicht aber Ursachen wie Umweltverschmutzung und Alltagsstreß kurieren hilft. Noch wichtiger scheint uns aber der Hinweis auf die körpereigenen Widerstände gegen eine Schwangerschaft, weil damit potentiellen Nutznießerinnen verständlich gemacht werden kann, daß die künstliche Befruchtung einer Kampfansage gegen den eigenen Körper gleichkommt. Weil die Mittelschichten der eigentliche Adressat dieser Angebote sind, müßte eine Kritik deren Lebensstile im Auge behalten und alternative Entwürfe für ein Leben vorlegen, in denen Zeugungsfähigkeit erhalten bleibt oder eine sinnvolles Dasein auch ohne Kinder möglich erscheint.

Sterile Perfektion

Während diese Gefahren also hervorzuheben sind, trifft die Kritik Gunhild Schöllers an der unappetitlichen Prozedur der „Eiernte“ nicht den Kern der Sache. Vielmehr muß angenommen werden, daß derartige Mängel der Technik bald beseitigt werden können. Nicht die derzeitigen Schwächen dieser Technik sind primär zu kritisieren, sondern die sterile Perfektion, mit der die natürliche Zeugung ihres sozial definierten Charakters entkleidet werden soll. Dabei geht es nicht um die romantische Beweihräucherung des Zeugungsaktes. Wohl aber droht eine Verarmung der vielen Dimensionen des Erlebens, die mit Intimität und Zeugung als Glück oder Verzweiflung verbunden sein können.

Insofern nicht Weiblichkeit, sondern umfassender, der Zeugungsakt technischer Rationalität anheimfallen soll, sind Frauen und Männer gleichermaßen betroffen. Es bleibt unverständlich, warum von Frauenseite die Bündnisperspektive mit Männern ausgeklammert bleibt, welche sich der entsubjektivierenden Vorstellung verweigern, sich als Zuchtbullen der nächsten Samenbank zur Verfügung zu stellen.

Strafgesetze sind

keine Lösung

Ein Verbot von Möglichkeiten künstlicher Befruchtung schränkt formal das Selbstbestimmungsrecht von Frauen ein, weil ihnen die Inanspruchnahme einer Technik strafrechtlich verwehrt werden soll. Frauen werden wieder nach England fahren, wenngleich diesmal aus anderen Gründen. Wir würden es begrüßen, wenn die am §218 erprobte Kritik der Strafandrohung auch in die Diskussion über Reproduktionstechnologien Eingang finden würde.

Auch wir können im unaufhebbaren Spannungsverhältnis von Strafrecht und Selbstbestimmung keine fertigen Lösungen präsentieren. Sicher ist nur: weder Bomben noch Verbote können uns in die reproduktionstechnologische Vorzeit zurückkatapultieren. Selbst Strafgesetze werden aufgrund der Entwicklung in anderen Ländern dann wirkungslos bleiben, wenn die Kritik an dieser Technik keine breitere Öffentlichkeit erreicht.

Notwendig ist deshalb die Anstiftung zum Dissens bei all denen, ohne deren Zustimmung diese Technik nicht Wirklichkeit werden kann. Gefragt ist das produktive Mißtrauen gegen das Expertenwissen. Die Kritik der Frauenbewegung an der Medikalisierung vieler Lebensbereiche hat auf die Kraft derartiger Spannungsverhältnisse aufmerksam gemacht, in denen die Suche nach sozialer Kompetenz gegenüber dem technisch Möglichen nicht zur Ruhe kommt. Männer können daraus durchaus lernen. Was sie allerdings nicht der Verpflichtung entbindet, eigenständige Positionen vielleicht auch gegen die Frauenbewegung zu suchen.

Teil V am Samstag: Renate Sadrozinski (Pro Familia) zu §218 und Embryonenschutz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen