: Reisen auf polnisch: Mehr Last als Lust
■ Viele westliche Wunschländer erschweren den Polen die Einreise / Aus Furcht vor Schwarzarbeit immer höhere Visagebühren und zusätzliche finanzielle Vorschriften / Zollterror und Bestechung bei Reisen in „Bruderländer“ / Der „Beschaffungstourismus“ wird zum Teufelskreis
„Die wollen uns doch gar nicht“, meint einer von mehreren hundert Polen, die vor der amerikanischen Botschaft in Warschau für ein Visum Schlange stehen. Angesichts der Vergabepraktiken für Visa in den amerikanischen Vertretungen ist dieser Vorwurf nicht von der Hand zu weisen. Von seiten der polnischen Behörden gibt es im Vergleich zu anderen Warschauer-Pakt-Staaten kaum Beschränkungen bei der Ausreise.
Die Schranken werden dafür inzwischen von den westlichen Ländern selbst errichtet. Mieczyslaw, Krakauer Stundent, hat zwei Tage und eine Nacht vor dem Krakauer amerikanischen Konsulat vergeblich gewartet. Dann erklärte man ihm, sein Schwager in den USA habe ihm zwar eine korrekte Einladung, aber auf dem falschen Formular geschickt. „Sie stempeln dir schon beim Betreten des Geländes in den Paß, wann du da warst“, erzählt Mieczyslaw, „und das nächste Mal lassen sie dich erst wieder nach drei Monaten rein, egal, ob du ein Visum gekriegt hast oder nicht.“ Selbst wenn ihm sein Schwager die Einladung nächste Woche auf dem richtigen Formular schickte, könnte Mieczyslaw seinen Visumantrag erst abgeben, wenn der Sommer vorbei ist.
Viele westliche Länder schikanieren Visumbewerber aus Furcht, jene ungefähr fünf Millionen Polen, die diesen Sommer ihr Land verlassen, könnten schwarz arbeiten, illegalen Handel treiben oder gar als illegale Einwanderer im Lande bleiben. Tatsächlich werden täglich drei bis vier Polen wegen erwiesener Schwarzarbeit aus der Bundesrepublik ausgewiesen. Doch gerade die deutsche Botschaft in Warschau hält ihre liberale Vergabepraxis bis jetzt noch durch. Im Gegensatz zu den US-Vertretungen, wo inzwischen ungefähr jeder dritte Antrag begründungslos abgelehnt wird, bekommt jeder Pole, der einwandfreie Unterlagen vorweist, ein Visum. Das hat sich in Polen schnell herumgesprochen, und die Wartezeit in der Schlange vor der Botschaft ist inzwischen von drei auf sechs Wochen angestiegen.
Gerissene Geschäftemacher stellen sich deshalb an, um ihren Platz an der Spitze für 80 Dollar zu verkaufen. Das bedeutet für einen polnischen Arbeiter den Gegenwert von drei Monatslöhnen. Neben dieser Art von Bestechungsgeldern ist es aber vor allem der ständig fallende Außenwert des Zloty, der den Polen das Reisen erschwert. Wenn ein polnischer Arbeiter einen Monatslohn auf dem Schwarzmarkt in DM umtauscht, so erhält er dafür zur Zeit ungefähr 45 DM. Um zu verhindern, daß Polen sich das Geld für die Reise im Zielland durch Handel oder Schwarzarbeit verdienen, sind nun viele Länder, darunter Österreich und Griechenland, dazu übergegangen, an der Grenze die Vorlage einer bestimmten Summe in Devisen zu verlangen. Wieviel, das hängt oft von der Laune der Zollbeamten ab. Bei der Einreise nach Griechenland werden inzwischen von polnischen Touristen bis zu 500 Dollar pro Person verlangt. Zugleich tragen die Zollbeamten alle mitgeführten Gegenstände in den Paß ein, um zu verhindern, daß die Einreisenden damit Handel treiben. Ein Redakteur der polnischen Parteizeitung 'Polityka‘ erfuhr die griechischen Zollpraktiken am eigenen Leibe. Ihm wollte man in den Paß einen Reisewecker, den Fotoapparat und ein Handtuch eintragen, einer Mitreisenden gar Zahnbürste und Damenbinden. „Als ich protestierte“, schrieb er später, „hörte ich: 'Wenn dir was nicht paßt, verpiß dich zurück nach Bulgarien!'“ Die griechische Polizei hat Anweisung, jeden festzunehmen, der auf der Straße Handel treibt, sie kann sogar Spaziergänger festnehmen, die Waren mit sich führen, die eventuell als Handelswaren geeignet sind. Polityka: „Das können zum Beispiel schon zwei Döschen Hautcreme sein.“
Für viele Polen heißt es da ganz einfach'fe2‘: Akropolis ade. Ausweichmöglichkeiten gibt es allerdings wenige. Nicht nur westliche Länder haben inzwischen zu drastischen Maßnahmen gegriffen, um dem polnischen Touristenstrom Einhalt zu gebieten.
Mit Schikanen müssen polnische Touristen auch in den sozialistischen „Bruderländern“ rechnen. In die DDR, die sich noch immer vor dem Solidarnosc-Bazillus fürchtet, dürfen Polen nur mit amtlich beglaubigten Einladungen der engsten Familienangehörigen einreisen. In Ungarn und Bulgarien begannen die Zollbehörden zu Jahresanfang, plötzlich willkürliche Kautionen und Gebühren zu verlangen. Offizielle Interventionen der polnischen Regierung haben die Schikanen nur teilweise einschränken können. Die Bestechungsgelder für Schmuggelware schossen in schwindelnde Höhen. Wer einen vollbelandenen PKW zur Zeit unkontrolliert über die ungarische Grenze bringen will, zahlt dafür zur Zeit nach Angaben von Insidern bis zu 1.000 Dollar bar auf die Hand des Zollbeamten.
Die Annahme, polnischen Touristen ginge es beim Urlaub vor allem ums Geldverdienen in Form von Handel und Schwarzarbeit, wird indessen auch von polnischen Umfragen gestützt. Demzufolge fahren nur drei bis vier Prozent aller polnischen Urlauber ausschließlich zu Erholungszwecken ins Ausland. Der Rest verbindet das Angenehme mit dem Nützlichen. Wobei noch die Frage ist, was dabei angenehm sein soll. Die meisten der in Warschau abgehenden internationalen Züge unterscheiden sich nur unwesentlich von Güterzügen. Durch den Mangel an Waggons sind die ausverkauften Züge zudem meist völlig überfüllt. Es ist in Polen durchaus nichts ungewöhnliches, eine Reise von Warschau nach Prag stehend auf dem Gang eines Zweiter-Klasse -Wagens zu verbringen. Die reservierten Plätze sind Wochen vor Saisonbeginn bereits ausverkauft. Bereits Anfang Juli waren sämtliche Flüge in der Touristenklasse von beliebigen polnischen zu beliebigen deutschen Flughäfen bis in den September hinein ausverkauft. Dabei sind Flüge, selbst innerhalb der RGW-Staaten, alles andere als billig. Ein Flug in das beliebteste Urlaubsland der Polen, Bulgarien, kostet bereits drei durchschnittliche Monatslöhne. Das kann sich dann wirkich nur einer leisten, der im Urlaub etwas „dazuverdient“.
Und nun zurück zu Mieczyslaw, der noch Schlange steht: Wie soll er an die 600 Dollar kommen, die der Flug zu seinem Schwager kostet, wenn er selbst durch dreimonatiges Jobben in der Fabrik nur den Gegenwert von 60 Dollar verdient? Die Zollbehörden haben dafür wenig Verständnis. Vor kurzem wurde ein Pole an der deutschen Grenze zurückgeschickt, weil er einen Werkzeugkasten im Kofferraum hatte: Verdacht auf Schwarzarbeit. Daß die Polen den Deutschen die Arbeit wegnehmen, ist in diesem Zusammenhang zwar häufig benutztes, aber wenig stichhaltiges Argument. Häufig führen Polen nämlich Arbeiten aus, für die sich Deutsche nicht gefunden hätten. Vor kurzem wandten sich nordrhein-westfälische Bauern hilfesuchend an die deutsche Botschaft in Warschau. Sie suchten Arbeitskräfte für die Gurkenernte. Da sich kein Deutscher dazu bereitfand, schickte die deutsche Botschaft 16 Polen mit Visum und Arbeitsgenehmigung zum Gurkensammeln nach Norddeutschland.
Klaus Bachmann
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