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„Die Kälber wurden regelrecht massakriert“

■ Heinz Nienhaus war bei der Schlachtung von 2.000 hormonbehandelten Kälbern dabei / Seine Schilderungen alarmierten den „Arbeitskreis Wissenschaftlicher Tierschutz“ / Landwirtschaftsministerum dementiert die Darstellung / AK Tierschutz stellt Strafanzeige gegen Matthiesen

Bochum (taz) – Heinz Nienhaus ist Schlachter und nebenberuflich selbstständigen Kälbermäster aus Borken. Nienhaus läßt seine Tiere in Gruppen aufwachsen und setzt weder Hormone noch Wachstumsmedikamente ein. Er war bei der Schlachtung von 2.000 hormonbehandelten Kälbern in der Tierbeseitigungsanstalt Marl dabei, weil er von einem holländischen Hauthändler mit der Häutung der Tiere beauftragt wurde.

Zusammen mit neun Kollegen bezeugt Nienhaus jetzt in einem Schreiben an den „Arbeitskreis wissenschaftlicher Tierschutz“ (Hattingen), daß die vom Landwirtschaftsministerium NRW angeordnete Tötung der Kälber einem „Massaker“ glich. Der Arbeitskreis hat aufgrund dieser Zeugenaussagen Antrag auf Strafanzeige gegen unbekannt und gegen den Landwirtschaftsminister Matthiesen gestellt. Das Ministerium dementiert die Darstellung von Nienhaus. Der Pressesprecher : „An der Schilderung von Herrn Nienhaus ist nichts dran, wir haben die Sache noch mal überprüft“. Nienhaus und seine Kollegen stehen jedoch zu ihren Aussagen.

taz: Herr Nienhaus, wie ging die Schlachtung vor sich?

Nienhaus: Innerhalb von 18 Stunden wurden 2.000 Kälber regelrecht massakriert. Man versetzte ihnen Stromstöße per Elektrozangen. Dann wurden die Tiere mit Bulldozern zu riesigen Haufen zusammengefahren. Viele waren noch gar nicht tot, sie röchelten, schrien und stöhnten so lange, bis jemand sie durch einen Stich ins Genick endlich tötete.

Was halten Sie aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung als Schlachter von dieser Art der Tötung?

Sowas Ekelerregendes habe ich noch nie erlebt. Ich hatte ständig mit Übelkeit zu kämpfen. Meines Wissens ist der Einsatz von Elektrozangen bei Großtieren nur erlaubt, wenn Seuchengefahr besteht. Normal ist, daß die Tiere mit einem Bolzenschußgerät betäubt und durch Abstechen ausgeblutet werden.

Warum hat man die hormonbehandelten Kälber nicht auf diese Weise geschlachtet?

Auf Weisung von Matthiesen mußte alles ganz schnell gehen. In der Abdeckerei herrschte enormer Zeitdruck. Technisch ist man dort gar nicht aufs Schlachten eingerichtet. Darum sollte die Sache unblutig verlaufen. Das ging dann auf Kosten der Tiere.

War Ihrer Ansicht nach die Eile bei der Aktion überhaupt nötig?

Auf keinen Fall. es bestand ja keine Seuchengefahr. Die Kälber hätten in aller Ruhe fachgerecht auf einem Schlachthof getötet werden können. Meine Kollegen und ich hätten dann auch die Möglichkeit gehabt, sie richtig zu enthäuten. So konnten wir nur fünf Prozent der Felle retten, die anderen waren durch Brandlöcher zu sehr beschädigt. Wenn nicht alles so überstürzt gelaufen wäre, hätte man mit denn Häuten die gesamten Kosten der Aktion decken können.

Herr Nienhaus, Ihre Aussagen sind umstritten. Das Landwirtschaftsministerium dementiert sie. Bei der Kreisbehörde Borken heißt es, Sie seien an die Öffentlichkeit getreten, weil Sie bei einem Häutehändler unter Vertrag standen, also wirtschaftliche Interessen hatten. Wie kamen Sie dazu, sich öffentlich zu der Kälbertötung zu äußern?

Ein Landwirt, ein Bekannter von mir, bat mich, dem Arbeitskreis Tierschutz Auskunft zu geben. Das habe ich dann gemacht. Außerdem habe ich die Befürchtung, daß noch weitere Kälber auf die quälerische Art und Weise zu Tode kommen. Derzeit werde ich als Lügner hingestellt. Der Kreisveterinär in Borken sagt, ich würde Greulmärchen verbreiten. Diese Sache, wie auch mein finanzieller Verlust als Enthäuter, wird sich wohl nur auf gerichtlichem Wege klären lassen.

Das Interview führte Anne Weber

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