Männer-An-Blick

■ Unsere Nachbarn im Osten: „Ohne Zeugen„; Mi., 24.8., ZDF. 22.40 Uhr

Das blaue Bild eines Fernsehers. Ein Dirigent flimmert darüber, er tritt an sein Pult, schließt die Augen. Ein letztes Mal übt die Flöte, dann hebt der Dirigent ruhig die Hand. Die Flöte verstummt. Leise kommen die Geigen. Vor dem Fernseher sitzt eine Frau. Wir beobachten sie von hinten durch die geöffnete Tür. Sie trägt einen Bademantel, ein Tuch um den Kopf, näht etwas, stickt oder strickt, senkt den Kopf. Jetzt, plötzlich von der Seite ein Dunkles, Großes. Der Mann, sein schwarzer Rücken, der Schlüsselbund in seiner Hand schwankt bedrohlich. Das ist der Mann der Frau, der seit neun Jahren nicht mehr bei ihr lebt, so werden wir erfahren, und dann wird er neunzig Minuten lang reden, schreien, flüstern, er wird sich lächerlich machen, wird sie demütigen, sie einschließen, sie in der Wohnung verfolgen, sich dann vor ihr winden, vor ihr weinen, flehen, bluten. Mittels der Kamera laufen wir ihm hinterher, immer die Gänge der Wohnung, an den Wänden entlang, kriechen an den Küchentisch, hinters Klavier, in die Kammer. Mittels der Kamera halten wir ihn uns aber auch so weit weg vom Leib wie möglich, in einer so engen Wohnung. Immer stehen wir am Ende des Gangs, immer hinter der Tür, in der Ecke des Zimmers, rückwärts vom Weitwinkelobjektiv. Zu besonderen Gelegenheiten jedoch schiebt der Mann sein Gesicht, fett, verschlagen und tränenreich, ganz groß ins Bild und kommentiert sich und uns das Geschehen, spricht uns die Dummheit, die Lebenslügen, die Gemeinheit, die Abgründe, die wir längst schon zur Genüge beobachtet haben, noch einmal ins Auge ...

Was will der Film? Er schafft zwei Holzschnitt-Charaktere: den Mann, die Frau, er zeternd, sie schweigend; schafft eine Holzschnitt-Situation zwischen den beiden, die Heimkehr zur Fremde - und anstatt sich zufrieden zu geben mit dem Holzschnitt, holt er weit aus und wirft sich in Pose mit einer verworrenen und Differenziertheit doch nur vortäuschenden Geschichte von einem adoptierten Sohn und einem verhängnisvollen Brief und einer, seiner, neuen Ehe, Tochter, Karriere, seiner neuen Einsamkeit ...

In allen Programmzeitschriften stand „Ehedrama - aus der Sicht einer Frau!“. Reicht den ProgrammzeitschriftentextschreiberInnen schon ein unsympathischer Mann, um die Sicht einer Frau zu verspüren? Ich habe die ganze Zeit nur einen Mann gesehen, seine Sicht, und nach 95 Minuten war ich ehrlich froh, ihn auch wieder los zu sein.

Susan Cheap