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MIT SCHRAUBENSCHLÜSSEL

■ Interview mit zwei Akteuren des Teatr Osmego Dnia

Die Anfänge des Teatr Osmego Dnia (Theater des Achten Tages) reichen bis 1964 zurück, als es als Studententheatergruppe an der Universität Poznan gegründet wurde. Seit Mai 1988 befinden sich alle Mitglieder der Gruppe im Westen.

taz: Eure Theaterstücke haben keine - im konventionellen Sinn - „richtige“ Geschichte?

Tadeusz Janiszewski: Ja, unsere Basis ist, daß wir mit Improvisation arbeiten. Jeder Schauspieler muß mit seiner Welt kommen und am Hauptsinn des Stückes mitbauen, Texte erarbeiten, mit der Szenographie und der Musik beschäftigt sein - wir machen alles selbst. Die Struktur ist offener für die Zuschauer. Sie können mehr Assoziationen für ihre Phantasie haben, mehr mit nach Hause nehmen. Wir sind nicht diejenigen, die alles am besten wissen und das ganze Publikum führen. Wir wollen die Welt mehr öffnen, mehr Impulse geben mit Bildern und Situationen,...

Barbara Theobaldt: ... mehr Fragen aufwerfen als fertige Antworten geben. Wir haben einen Regisseur, der zukuckt, der bei den Improvisationen außen steht und einzelne Sachen auswählt, über die wir dann mit ihm diskutieren.

T.: Leszek macht auch andere Sachen, mit Licht und normaler physischer Arbeit, aber er ist wie der erste Zuschauer.

Woher nehmt ihr eure Vielseitigkeit?

T.: Jedes Mitglied wollte immer mit neuen Überraschungen kommen - also wir sind nicht so mit Routine, wie eine alte Familie. Jeder kam mit etwas Neuem, das heißt auch Konkurrenz, aber davon haben wir auch gelernt. Es ist interessanter, neue Formen zu suchen.

Für mich war es eine sehr interessante Erfahrung mit dem Stück „Höhenflug“. Ich war vorher immer voller Energie, in Bewegung, und bei diesem Stück muß ich nur sitzen. Ich mußte den Zuschauern so nahe sein, daß ich mein Denken über Spielen ändern mußte. Das ist mehr wie ein privates Gespräch.

B.: Die Zuschauer sitzen an einem Tisch, und das Geschehen ist auf dem Tisch.

T.: Und in diesem Moment habe ich verstanden, daß ich nicht lügen kann - das ist unmöglich, wenn ich so privat bin und nur mit Worten und nur mit innerem Gefühl.

B.: An dem Tisch sind Ausschnitte aus dem Leben von Ossip Mandelstam in verschiedenen Perioden. Und die Musik, die immer dazwischen ist, mit den Gedichten, ist eigentlich die Welt, die fliegt, die er sich wünscht, auch bauen wollte, konfrontiert mit der harten Realität.

Das ist so eine nahe Situation, wie man sie sonst kaum hat im Spiel, die Leute sitzen an einem Tisch - so wie wir jetzt, (an einem Tisch ca. 1*2,5m) und auf dem Tisch wird gespielt.

Da passen doch nur zwei Leute drauf!

B.: Der ist 5 Meter lang, der Tisch...

T.: ... und etwas breiter.

Bis 1984 durftet ihr euer Stück „Bericht aus einer belagerten Stadt“ noch legal spielen, danach kam dann die Repressionsschraube.

T.: Oh, diese Repressionsschraube hatten wir öfter. Im ersten Jahr 1972, nach dem großen Arbeiterwiderstand in Gdansk, da waren unsere Vorstellungen schon mit dem Einatmen des Widerstandes verbunden, da kamen die ersten Schwierigkeiten mit der Zensur. 1976 machten wir Unterschriftensammlungen zur Verfassungsänderung. In dieser Zeit war auch KOR, das Komitee zum Schutz der Arbeiter, gegründet worden - mit ihnen waren wir eng befreundet. Zwischen 1976 und 1980 war diese Schraube sehr stark. Wir konnten nicht ausreisen, wir durften in vielen polnischen Städten nicht spielen, es durften keine Nachrichten über uns in den Zeitungen stehen. Dann kamen verschiedene Prozesse, wir hätten die Polizei geschlagen, mit Geld irgendwelche schmutzigen Sachen gemacht. Die Prozesse waren so grotesk. Und dann, die Zeit von Solidarnosc war für uns wie ein Paradies, aber zu kurz. Ab 1984 konnten wir nicht offen spielen, wir existierten nicht, und in dieser Zeit konnten wir nur in Kirchen spielen, aber auch nur mit Schwierigkeiten, Polizeiblockaden. Es dauerte oft ein halbes Jahr, bis wir für vier Personen Privatpässe bekamen, daß wir als Aerobic-Gruppe oder als Maler zu einer Ausstellung ausreisen konnten.

B.: Da waren auch so Kleinigkeiten, z.B. brauchten wir einen Proberaum, und da gab's immer Schwierigkeiten, wir hatten nie einen Saal, oder für einen Monat und dann keinen mehr. Eine dieser Methoden der Behinderung war die Einberufung zur Reserveübung, so daß ein Schauspieler fehlte und die Vorstellung nicht mehr sein konnte ohne den einen.

Ihr habt euch dann umgestellt?

T.: Die Regierung hat uns oft gelehrt, welche andere Methoden wir benutzen müssen. Und als wir gedacht haben, daß es unmöglich war, in einem öffentlichen Raum zu spielen, haben wir Straßenvorstellungen gemacht. Das war für uns eine ganz neue Erfahrung. Damals machten wir Straßentheater bei einem internationalen Theaterfestival in Polen, weil da die Polizei nicht intervenieren konnte. Und dann haben wir eine Vorstellung gemacht und dann noch eine und noch eine... Das war wie eine Versuchung. Dadurch konnten wir nicht arbeiten wie normale Schauspieler, mit fertigen Texten, fertigem Drehbuch; wir mußten schnell machen, und wir haben schnell gemacht.

Ihr arbeitet international. Führt ihr eure Stücke auch in mehreren Sprachen auf?

T.: Wir arbeiten mit jungen Schauspielern aus dem jeweiligen Land in Workshops und beziehen sie in unsere Stücke mit ein.

B.: Die ganzen Vorstellungen sind in verschiedenen Sprachen, weil wir ja Vorstellungen in ganz Europa spielen. Verschiedene Sprachen sind auch wichtig geworden als theatralische Mittel, ein Teil ist in Polnisch, Italienisch, Spanisch, die Haupttexte sind immer in der Landessprache.

T.: Bei „Höhenflug“ z.B. spielt Barbara die deutsche Version, in Italien unsere italienische Schauspielerin die italienische. Wir arbeiten jetzt schon längere Zeit in Italien, in der Nähe von Ferrara. Wir versuchen jetzt in Polen zu spielen, im Dezember, vielleicht. Wir wollen nicht Emigranten sein, und wir wollten die polnischen Pässe behalten, daß wir immer nach Polen zurückkehren und dort spielen können. Und jetzt vielleicht kommt diese Situation wir müssen warten.

Das Interview führten Petra Grimm und Michael Vahlsing.

„Bericht aus einer belagerten Stadt“ spielen sie am Samstag und Sonntag um 21.30 Uhr auf dem Gelände der U.F.A.-Fabrik, Viktoriastr. 13, 1-42. Am Montag auf dem Döblin-Platz in Kreuzberg (umsonst und draußen).

„Höhenflug“ ab Dienstag bis zum 4.September 21.30 Uhr in der U.F.A.-Fabrik.

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