: SEK-Beamte in Geiselhysterie
■ Ein des Mordes verdächtiger Türke wurde unter dramatischen Umständen verhaftet
Die Hysterie nach dem Gladbecker Geiseldrama ist auch nach Berlin übergeschwappt. So hatten zehn Beamte des polizeilichen Sondereinsatzkommandos (SEK) am Dienstag morgen die Wohnung eines 28jährigen Türken erstürmt, um einen Haftbefehl zu vollstrecken.
Nach Angaben der Verlobten des Türken war das Vorgehen der Beamten von dem zuständigen Staatsanwalt im nachhinein damit entschuldigt worden, daß man nach dem Gladbecker Geiseldrama kein Risiko mehr eingehen könne.
Die Verlobte, der gesuchte Türke und ein gemeinsames, acht Monate altes Kind hatten in der Wohnung geschlafen. Wie die Frau gestern mitteilte, hatten die SEK-Beamten die Wohung um sechs Uhr morgens aufgebrochen, ohne vorher zu klingeln. „Wir mußten aus dem Bett aufstehen und uns nackt an die Wand stellen, den Duchsuchungsbefehl haben sie erst viel später vorgezeigt.“
Wie Justizsprecher Christoffel gestern bestätigte, war der Türke aufgrund eines Haftbefehls der Schweizer Justizbehörden festgenommen worden. Der Mann werde beschuldigt, im Mai in der Schweiz einen Türken erstochen zu haben, und sitze jetzt in Auslieferungshaft. Nach Auffassung der Verlobten ist die Beschuldigung jedoch „völlig abwegig“, weil sich ihr Freund zur besagten Tatzeit nachweislich in Berlin aufgehalten habe.
Der Anwalt des Türken erklärte gegennüber der taz, daß sein Mandant der Auslieferung in die Schweiz inzwischen zugestimmt habe, weil er nur dort zur Sache vernommen werde könne.
Justizsprecher Christoffel zufolge hat der zuständige Staatsanwalt vermutet, daß sich in der Wohnung noch weitere im Zusammenhang mit den Mord in der Schweiz gesuchte Personen aufhielten. Die Beamten hätten einen Schußwechsel befürchten müssen und hätten sich deshalb zuerst das Baby gegriffen, um es aus der Schußlinie zu nehmen.
Nach Angaben der Verlobten hatte der Staatsanwalt die Aktion damit begründet, daß hier ein Mörder gesucht worden sei. Es sei zu befürchten gewesen, daß der Gesuchte seine Freundin als Geisel nähme, um sich der Verhaftung zu entziehen.
plu
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