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„Das Ende der Machtprobe ist bald in Sicht“

■ Eugeniusz Polmanski, Streikführer des geräumten Berkwerks Andaluzja im oberschlesischen Kohlenrevier, und Adam Giera, Mitglied des Exekutivkomitees der Solidarnosc für die Region Oberschlesien, zu der Situation an der Streikfront

taz: Ist die Streikfront in den Zechen abgebröckelt?

Einmal wirst du müde. Es ist schwer, tagelang in einem Belagerungszustand auszuharren. Die Kräfte lassen einfach nach. Die Arbeiter hatten den Mut nicht verloren, aber wir wären der Situation nicht ewig gewachsen gewesen.

Ein Eingeständnis, daß Solidarnosc schlecht vorbereitet war?

Nur in soweit, daß wir der subtilen Einschüchterungspraxis des Staates nichts entgegenhalten konnten. Die Mehrzahl der Streikenden waren Jungarbeiter. Während die den Ausstand probten, kamen Polizeitypen zu deren Eltern und schüchterten sie ein: ihre Jungen würden sich mit einer so unnötigen Sache doch nur die Zukunft verbauen. 30 dieser Arbeiter bekamen sofort einen Gestellungsbefehl der Armee. Das demoralisiert! Und dann auf einmal 20 Mannschaftswagen vor dem Tor: schwer bewaffnete Bullen, vergleichbar den Antiterroreinheiten im Westen, drücken das Zechentor ein. „Wenn ihr nicht rauskommt, prügeln wir los!“ brüllte der Anführer. Was machst du in dieser Situation als Streikführer? Du kannst doch nicht zulassen, daß die Kumpel, mit denen du tagelang zusammen warst, krankenhausreif geschlagen werden.

Haben nicht auch manche Bergleute die Arbeit freiwillig wiederaufgenommen?

Wer streikt und keine Zugeständnisse bekommt, der wird doch nicht von alleine wieder arbeiten gehen! Das war der staatliche Druck!

In der Parteipresse hieß es, der Ausstand wurde in den jeweiligen Zechen stets von einer verschwindenden Minderheit getragen.

Das ist Demagogie. Einige hundert Leute hätten nie eine Zeche besetzt halten können, dazu mußt du eindeutig die Mehrheit haben. Auch von Streikbrechern kann keine Rede sein. Es gab allerdings Probleme mit älteren Leuten, die nicht den Mut hatten mitzumachen. Aber auch wenn sie nicht dabei waren, erklärten sie den Machtkampf zur nationalen Sache der Polen. Das Volk will Solidarnosc, und deshalb geht der Kampf weiter.

Ist nicht die Stimmung in der Bevölkerung eher gedrückt?

Das Kriegsrecht von 1981/82 ist in der Tat noch nicht verarbeitet. Wir glaubten, das Volk habe seine Kraft wiedergefunden, doch viele sind noch müde. Man spürt hier bisher auch nichts von Glasnost. Sieben Jahre lang harte, unbewegliche Fronten, das stumpft ab! Erst langsam kommt die Hoffnung wieder, langsamer, als wir erwartet hatten.

Was werden die nächsten Tage bringen?

Das Ende dieser Machtprobe ist bald in Sicht. Es sei denn, es bildet sich ein neues Zentrum oder, Maria beschütze, es kommt zu einer Katastrophe in einem bestreikten Werk. Aber was jetzt begonnen hat, wird später weitergehen, denn mit unseren Träumen von einer freien Gewerkschaft werden wir nie resignieren. Solidarnosc lebt, und nur mit ihr gibt es in Polen Freiheit und Wohlstand. Das weiß das Volk und deshalb kämpft es mit uns.

Interview: Roland Hofwiler

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