: VORSICHT KAMERA!
■ Ausstellungseröffnungen im Umbruch: Deplana und Zwinger
„Verehrte Gäste. Auf dieser Veranstaltung werden Filmaufnahmen gemacht. Beim Betreten der Galerieräume erklären Sie sich damit einverstanden, gefilmt zu werden.“
Ein Filmkombinat Berlin EhVau wuselt in gestreiften Hemden durch die Meute, das schaumstoffumwindelte Mikro am verchromten Stab wie eine Wünschelrute vorneweg ausgependelt, die Sonycam dickbäuchig und schiebermützig hinterher. Man gibt sich natürlich. Scheinwerferlichterprobte Künstler kräuseln ihre Charakternase, Intellektuelle sind linkisch desorientiert, ehrwürdige Galeristinnen beben im Kulturschock, nur die von keiner ästhetischen Theorie belasteten Kudammpassanten schauen jugendfrisch durch die Gegend. „Das ist der Verlust der Mitte“ (Eva Poll). Wir befinden uns auf neuerschlossenem Territorium. Zwei Buben in Schubladenhosen mit schmalem Bund und Hals flankieren den Eingang zu „Mezzano“, einer Galerie im ersten Stock über dem Laden für unnütze Utensilien, im Untertitel „deplana“. Die Eigenart des Geschäftes besteht darin, daß alles Nichtgemauerte in ihm käuflich sein sollte. Statt Schränken, Vitrinen oder Regalen ist alles Environment aus scheinbar einem Guß (von PW in lindgrün). Die Gegenstände darin sind Ikonen des Überdrusses: Reifröcke aus Viskose für 980 Mark, Aktentaschen aus profiliertem Kautschuk (730,-) und signierte Seidensocken (ab 370,-).
Einen Stock drüber also die „Galerie“ („aber echt schöne Räume, nicht? Hier hab ich schon vor 15 Jahren ausgestellt“
-Mike Steiner) bzw. die Vernissage, deren mediale Inszenierung das Ereignis macht. Obwohl es eigentlich immer ein wenig zu weit weg scheint, das Ereignis. Da die Kamera und dort ein bekanntes Gesicht, das die Kamera gleichwohl übersieht. Auf dem Bildschirm läßt sich alles sicherlich cooler betrachten.
Im Kopf-an-Kopf-Stehen vor den zwei Antipasti-Prizzis hinterm Buffett wird der Lebensstil kaum vernachlässigt. Rustikal bröckelt der Parmesankrümmel, der Parmaschinken gibt sich dem scharfen Messer hin, karmesinrot faserig und trocken. Ein gepflegtes Sattessen und -trinken eint die disparatesten Zufallsbegegnungen und ab und zu fällt ein Glas gezielt auf den fernen Fußboden, als wär's ein Stück Soziale Plastik. Die Kunst (Judith Brunner, Arved Dietrich und Gisela Gentner - „Regionalliga“) hielt sich tapfer im Hintergrund, ging praktisch im Geschehnisraum auf. (Man sah halt nichts.) Immerhin, als Duschvorhänge wären ihre Wiederkehr in diesem Ambiente noch vorstellbar. Live animation.
Dagegen bot die Galerie Zwinger, auch sonst für Simulatives pioniergeistig, ein Szenarium der Kulturkonsumption besonderer Art. Die Künstlergruppe „Die tödliche Doris“, die schon mit ihrer vorletzten Schallplatte (der Fünften) ihren Schabernack mit dem Fiktiven getrieben hatte, lockte das interessierte Berliner Kunstpublikum zu einer Farce, in der selbst den eingefleischtesten Ironikern der Spaß am Unsinn verleidet wurde. Eine Provokation vielleicht? Eine Dame aus Lichtenrade kam extra, um sich die weitere unaufgeforderte Zusendung von Eröffnungseinladungen zu verbitten. Daß die Idee der Publikumsverarschung steinalt ist, bedeutet noch längst nicht ihre überlebtheit. Aber was das tödliche Trio brachte, unterbot doch die gewagtesten Argwöhne. Die ohnehin bei Vernissagen wegen Überbevölkerung im Zwinger unsichtbaren Hängeflächen waren gleichsam weiß wie unbetrachtbar. Schnödes Nichts! Was ja überhaupt nicht schlimm noch sonderlich geistreich ist - aber dann das Glas Wein drei Mark! Wegen seinem etwa streitbaren Geschmack sicher nicht, dem schlichten TD-Etikett wohl schwerlich. Bleibt nur der Haken mit dem Pfand: eine Flasche kostete 12,40 DM, und für die Altglasentsorgung gab's unaufgefordert eine Signatur. Da kann man jedenfalls ein Stück mit heim nehmen, das einen in einer sentimentalen Minute daran erinnern wird, wie wir damals fröhlich waren, als die Zwingerwände ganz kunstlos waren. Jedenfalls ist festzuhalten, daß relativ bewußt getrunken wurde, irgendwie ahnte jeder Kunstkollege, Kritiker oder sonstiger Selbstdarsteller, daß er sich blamierte, würde er nicht selbstreflektiv das System der Selbstreflexion auf medialer Dimension praktisch selbstregulativ in der Affirmation enttarnen.
Auch den neumodischen Konservativen und Moralisten war der Abend nicht ernstlich verdorben. Eine gesunde Empörung steht jedem gut. Die Unterhaltungs-Drogistik hat eben keinen Servis mehr, wir müssen alles bezahlen. Aber das war bloß ein Spaß, ein Stilbruch quasi.
Die Kunst - das ist der Anlaß, die Marke, das Etikett, das Phänomen - können wir saufen, bis uns dormelig wird. Dennoch: Betrug, denn wieder müssen alle Genüsse individuell erfunden werden. „Die kollektive Unterhaltungsarbeit ist ein einsames Geschäft, aber wie findest du unseren Wein?“ sagt Wolfgang Müller und wirft seine Handgelenke mit einem subtilen Außeneff'-et hinter sich. Alles live.
vogel/höge
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen