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Das Warten auf einen Staat der PLO

■ Die Palästinensische Befreiungsorganisation will eine Exil-Regierung ausrufen / Volkskomitees werden verfolgt

UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar hat am Samstag in Genf den PLO-Vorsitzenden Arafat zu Gesprächen emfangen. Der offizielle Sprecher der PLO hat anschließend bestätigt, daß bald eine Arabische Republik Palästina ausgerufen würde und die Bildung einer Exilregierung unmittelbar bevorstehe. In den besetzten Gebieten haben sich längst überall „Volkskomitees“ gebildet, die sofort die Rolle einer Administration übernehmen könnten. Israel hat die Komitees verboten und droht allen Mitgliedern mit Gefängnis.

Beit Sahour ist eine mittelgroße Stadt in der Westbank: In den Innenhöfen ihrer Häuser pflanzen palästinensische Familien an diesem Tag überall Gemüse an; Frauen und Männer aus einem Volkskomitee helfen ihnen dabei. So treffen sie Vorkehrungen für die nächste Ausgangssperre, die letzte hat vier Wochen gedauert. Und Ausgangsperre bedeutet, daß man das Haus nur alle paar Tage höchstens für eine Stunde zum Einkaufen verlassen darf. Wenig später werden die Mitglieder des Volkskomittes von isrealischen Militärs verhaftet.

In einem palästinenschen Dorf, in Katabiya, geschieht am selben Tage etwas sehr ähnliches: Das örtliche Volkskomitee hat einen Erste-Hilfe-Kurs vorbereitet und dazu eine Gruppe von Ärzten eingeladen. Die Einwohner lernen, wie man Tränengas- und Schußverletzungen behandelt. Die Ärzte werden alle verhaftet.

Das sind nur zwei Beispiele für die vielen Aktivitäten der Volkskomitees. Seit Beginn der Aufstandsbewegung „Intifada“ vor neun Monaten sind Volkskomitees überall wie Pilze aus dem Boden geschossen: In den besetzten Gebieten gibt es sie nun in fast allen Flüchtlingslagern und Gemeinden. Die isrealisiche Besatzungsmacht fühlte sich davon immer stärker bedroht, und Mitte August wurden die Komitees schließlich zu illegalen Vereinigungen erklärt: Bis zu zehn Jahre Haft droht jetzt allen, die in einem Volkskomitee mitarbeiten oder diese Arbeit unterstützen - und sei es auch nur mit einer Geldspende.

Die Volkskomitees bezeichnen sich selbst als Rückrat der Aufstandsbewegung. Sie sind dabei, eine eigenständige palästinensische Selbstverwaltung aufzubauen, und in einem unabhängigen palästinenschen Staat können sie rasch zu Verwaltungsorganen ausgebaut werden. Genau das wollen die Isrealis verhindern.

„Die Intifada verwandelt sich in ein Instrument, das wichtige politische Ziele ereichen soll, die Isreals Zukunft und Sicherheit gefährden“, sagte Israles Verteidigungsminister Rabin zum Verbot dieser Gruppen. Er fürchtet offenbar weniger die Rolle, die die Komitees von Anfang an bei der Organisation von Streiks und Demonstrationen gespielt haben. Er will mit allem Mitteln unterbinden, daß die Komitees die lokale Administration für die zunkünftige Exilregierung übernhemen könnten. Gerade die PlO-Pläne, bald eine Exilregierung zu bilden, machte das Selbstverwaltungsnetz so bedrohlich.

Jedes örtliche Komitee wird von den Bewohnern gewählt. Sie stellen die Verbindung her zur „Vereinigten Führung des Aufstands“ (Unified leadership of the uprisal). Aber die Mitglieder der Komitees betonen, daß sie keinesfals bloße Befehlsempfänger seien: Sowohl unter den Volkskomitees selbst als auch mit der Führung sei ein ständiger Diskussionsprozeß im Gange, soweit das bei Ausgangssperre und Belagerung möglich sei. Die gemeinsamen politischen Ziele beschreiben sie so: Sie fordern eine internationale Konferenz unter Beteiligung der PLO, einen palästinensischen Staat in Westbank und Gaza mit Jerusalem als internationaler Stadt, die Anerkennung Israels, das Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf Rückkehr und Entschädigung.

Zu Beginn der Intifada haben die Volkskomitees vor allem die Streiks und Demonstrationen organisiert. Dabei wird voller Stolz auf die große Selbstdisziplin aller Beteiligten verwiesen: auf die Ladenbesitzer etwa, die seit Monaten ihre Läden nur noch von 9 bis 12 Uhr öffnen: „Jeder ist bereit, ein Opfer zu bringen.“ Als neue Aufgabe ist dann die Lebensmittelversorgung bei Ausgangssperren und Belagerungen automatisch dazu gekommen. Bei Jericho sammelten zum Beispiel Bauern-Komitees über 100 Tonnen an gespendeten Grundnahrungsmitteln, die dann in den Flüchtlingslagern im Gaza-Streifen von den dort ansässigen Komitess verteilt worden sind. Dies geschah trotz wochenlanger Ausgangssperre, zumeist bei Nacht. Dennoch wurden einige Personen dabei verhaftet und ein Teil der Lebensmittel beschlagnahmt.

Mittlerweile haben die Komitees viele Projekte zur Selbstversorgung auf die Beine gestellt und alles dafür getan, daß eine Gemeinde mehrere Wochen Ausgangssperre ohne allzu große Not überleben kann: Dazu gehören der Gemüseanbau im Innenhof, die Kultivierung von brachliegenden Grundstücken, die Trocknung und Lagerung bestimmter Lebensmittel. Agrartechniker liefern das nötige Wissen: Sie arbeiten dafür, wie fast alle, ohne oder nur mit sehr geringem Entgeld. Schrebergarten-Mentaltität scheint selten aufzukommen: Eine Gemeinde mit relativ gutem Boden stiftete etwa einmal ihre gesamte Gemüseernte einem Flüchtlingslager ohne Land. Berichtet wird auch, daß besser gestellte Familien ihre Überschüsse abliefern.

Die Komitees sorgen nicht zuletzt auch für die medizinische Versorgung der Bevölkerung. Dies geschieht mit Hilfe von Ärzten und Krankenschwestern, die neben ihrer Arbeit in den Kliniken 20 bis 30 Stunden pro Woche dafür aufbringen. Zu Beginn des Aufstands standen fast keine Sanitäter zur Verfügung. Doch inzwischen können in jedem Dorf und in jedem Lager mindestens 10 bis 15 Personen bei Schußverletzungen Erste Hilfe leisten. Und große Teile der Bevölkerung können jetzt mit Tränengas umgehen. Für die Betroffenen ist das von großer Bedeutung: In der Westbank trauen sich die Palästinenser oft gar nicht, ins Krankenhaus zu gehen, wenn sie von den Militärs verletzt worden sind. Denn mit Ausnahme des unabhängigen „Makassed-Hospitals“ werden sie dort erst gar nicht behandelt oder aber registriert und anschließend verhaftet. Die Israelis ließen verletzte Palästinenser auch schon vor dem Krankenhaus verbluten.

Als in den besetzten Gebieten die Schulen geschlossen wurden, entstanden auch in diesem Bereich Volkskomitees. Der Unterricht wird nun von ihnen weitergeführt. Dies geschieht in Wohnungen und in Moscheen, und oft treffen sich Schüler und Lehrer heimlich sogar während der Ausgangssperren, jeden Tag in einer anderen Wohnung.

Die Schülergruppen sind in der Regel nur halb so groß wie in den Staatsschulen, und neben dem regulären Lehrplan werden auch politische Themen diskutiert, während in den staatlichen Schulen ja nicht einmal der Name „Palästina“ erwähnt werden darf. Auf diese Schülergruppen sind die Betroffenen sehr stolz: „Wir haben nicht nur verhindert, daß unsere Kinder ohne Schule verwildern und verdummen, wir haben ihnen sogar einen besseren Unterricht ermöglicht.“

Gisela Framheim / A.W.

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