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Krankenhäusern droht der Kollaps

■ Beim zweitgrößten Bremer Unternehmen fehlen nach Personalratsschätzungen 1.600 Stellen / Senat fühlt sich nicht zuständig, Krankenkassen wollen's nicht glauben / Reichsbund fordert „Humanität statt Buchhalterei“

Sonntagsdienst auf einer Station im Zentralkrankenhaus St. -Jürgen-Straße. Vormittagsschicht: Eine Schwester aus dem Stammpersonal, ein Medizinstudent. Nachmittagsschicht: Eine hauptamtliche Krankenschwester, eine Schwesternschülerin. Gemeinsam zuständig für 24 Patienten: Krebskranke, Sterbende, frisch Operierte. Die MitarbeiterInnen arbeiten im Laufschritt und ohne Pause, trotzdem werden nicht alle Verbände gewechselt, Betten nicht frisch bezogen, Patienten nicht gewaschen. Nach Dienstschluß schreiben sie einen Beschwerdebrief an die Klinikdirektion. Was dort mit dem Brief passiert, wissen sie inzwischen. Er wird zu den Akten genommen. Die Akten werden dicker. Sonst passiert nichts.

Seit sämtliche Bremer Krankenhäuser in die betriebswirt

schaftliche Selbständigkeit entlassen sind, fühlen sich Senat und Gesundheitssenatorin für notwendige Neueinstellungen nicht mehr zuständig. Ihre Reaktion auf Klagen von Personalvertretungen über total veraltete Personalschlüssel, über immer mehr und immer kompliziertere medizinische Behandlungsmethoden in immer weniger stationären Behandlungstagen: „Im Prinzip mögt ihr recht haben, aber wir haben kein Geld.“ Ebenso stur stellt sich der zweite Adressat von Personalforderungen: Die Krankenkassen. Rund 12 Millionen klaffen in den laufenden Pflegesatzverhandlungen noch zwischen der Forderung der St. -Jürgen-Direktion und dem bislang letzten Wort der Kassen. Von rund 1.600 Stellen, die nach Berechnungen der Personalräte im gesamten Bremischen Krankenhauswesen

auch dann noch fehlen würden, wenn die Kassen die bisherigen Forderungen erfüllen würden, ganz zu schweigen.

Resultat: Bremens kommunale

Krankenhäuser stehen vor dem Kollaps. Ein einziger Arbeitstag, an dem die Mitarbeiter keine Überstunden leisten, ihre freien Tage opfern oder ihren Urlaub

verschieben würden, würde zum „totalen Chaos“ führen, fürchten und wissen Personalräte.

In die Auseinandersetzung um mehr Personal beim Bremens

zweitgrößtem Arbeitgeber nach Daimler Benz - insgesamt arbeiten 6.000 Menschen in Bremens Krankenhäusern - hat sich jetzt zumindest der Reichsbund der Kriegsopfer und Behinderten eingeschaltet. Gemeinsam mit PersonalratsvertreterInnen aus den Kliniken St.-Jürgen -Straße, Links der Weser, den Zentralkrankenhäusern in Bremen Ost und Bremen Nord richtete Reichsbundvorsitzender Walter Franke gestern einen dringenden Appell an Senat und Bürgerschaft, zusätzliche Gelder für dringend benötigtes Personal in den Kliniken locker zu machen. Franke auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den PersonalrätInnen: „Statt buchhalterischer Sparkonzepte fordern wir einen politischen Prioritätenkatalog, der sich an den Prinzipien der Humanität und der sozialen Gerechtigkeit orientiert. Wer 40 Millionen in einen Aufsichtsratssitz bei MBB investieren will oder Arbeitsplätze in der Daimler-Sportwagen-Produktion subventioniert, muß auch Arbeitsplätze im Gesundheitswesen schaffen.“

K.S.

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