: DAS MÜLL UND DIE STADT
■ Menscheninszenierungen im ehemaligen Hotel Stuttgarter Hof
Neben dem ehemaligen KuKuCK steht der Stuttgarter Hof, mit langer Geschichte und kaputten Fenstern. Den nächsten Winter wird er nicht überstehen, der Vorahnungsgeruch von geplatzten Rohren und gefrorenen Lachen ist überall. Den organisierten Faschismus hat er überlebt; nur zu gut, wie einige lose Aktenblätter („Mit deutschem Gruß!“) auf dem Fußboden belegen, auch seine Zeit als Abspritz-Inn hat er problemlos verdaut, und die momentan aktive Sperrmüll -Avantgarde steckt er sowieso mit links weg. Genauso wie die Neonazis, die sich aus ebenso unerfindlichen wie naheliegenden Gründen im Zeitreisen-Mobil eingefunden haben. Der Fluch der späten Geburt weckt historische Gelüste am Rande später Kriegsschauplätze, und alles wird möglichst originalgetreu nachgestellt: Dreckiger Dreck macht sich im erhabenen Dreck der Stuttgarter Hofes breit. In drei von vier Stockwerken sind Hotelzimmer in Geschehnisräume umgewandelt worden, im Keller stehen Musikutensilien, in der Hofdurchfahrt kassiert eine junge Frau pro Person eine Mark.
Der Bau ist ein dicker Walfisch, die Bombeneinschläge vernarbten zu Sonnenterassen, in den Innereien tropft es, und der Plankton aus Kleinkunstkrebsen und Installationsalgen fault gemächlich zwischen seinen Kiemen. Tief unten im Bauch rumort Jonas mit verstimmt heulenden Gitarren und besabbert sich den Latz, das stört den Wal nicht, genausowenig wie das gerinnende Blut in hungrigen Hohlfratzen und der nervöse Schweiß unter den Achselhöhlen studentischer Sangeskünstler. Leise lacht der Wal über die eifrigen Würmer, die seine Innereien durchforschend ordnen wollten; die ihre Alpträume von Wohnzimmereinrichtungen in seinen Bauch pflanzen wollten und nun mit Glasaugen durch das Labyrinth torkeln und den Bierhahn suchen, um kurz davor zusammenzubrechen.
Der dicke Fisch zirpt sein Lied durch Heizungsrohre und Treppenhäuser, es ist kaum zu hören, aber tausendmal lauter als die verzweifelten Versuche, eigene Unzulänglichkeit durch die Mißhandlung rückkopplungsgestreßter Verstärker zu übertönen. Die Eindringlinge bewegen sich wie Touristen mit Filzpantoffeln im Museum, die heimlich furzen, wenn der Aufseher nebenan ist, sie schreien, bewerfen und schlagen sich, ahnend, daß nichts von dem den Wal wird beeindrucken können.
Er hat sie schon alle zu oft gesehen; auch die, die eigentlich zu jung sind und sowieso die, die mittlerweile Trenchcoats und Sonnenbrillen spazieren führen. Der alte Wal kennt die kleinen Emporkömmlinge und die glitschigen Flaschenkorken, und er kennt die ewigen Verlierer aus seiner Zeit als Stundenhotel. Er macht keinen Unterschied, daß der letzte Besuch vor dem Abriß versucht, seine überflüssige Existenz mit Sprühdosen zu tünchen.
Er braucht sich nicht einmal die Mühe zu machen, sie auszuspucken, sie fallen alleine heraus, die weiblichen Schäferhunde auf zwei Beinen genauso wie die Ledermäntel mit den Wagner-Platten und die heimlichen Golf-Fahrer. Sie werden einen seiner Kollegen besuchen, es ist ein Trip durch die Weltmeere - man trifft die seltenen Giftfässer immer wieder.
rah!
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