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Sandsteine und fünf Pappeln

■ Mahnmal für die „Frauen von Obernheide“ eingeweiht / 60 Sandsteine auf weitem Kies-Karree symbolisieren „Kraft der Gewaltlosen“ / Zum Schluß sangen sie die israelische Nationalhymne

Als sie ihren Kranz niedergelegt

hatten, brachen viele von ihnen in

Tränen aus. „Zum Gedenken. Die Überlebenden Lagerschwestern“, stand auf der Schleife. Sie lagen sich in den Armen, einige beteten, andere versuchten, auf der sattgrünen Viehweide „ihr“ Lager wieder erstehen zu lassen. Wo das steinerne Mahnmal gestern eingeweiht wurde, da standen früher das Tor und die Verwaltung. Dahinter die SS -Baracken und die Baracken der Häftlinge. Ein Splittergraben links, einer hinten.

Frühere Zwangsarbeiterinnen des KZ-Außenlagers Obernheide in Stuhr waren gestern dabei, als auf dem früheren KZ -Gelände ein Mahnmal eingeweiht wurde. Sichtbare Spuren hinterließ das Lager nicht: Als die Engländer im April 1945 nach Stuhr kamen, schossen sie die Baracken in Brand.

Weithin sichtbar ist jetzt das Mahnmal. Es besteht aus 60 braunen, okerfarbenen und blau-grauen Sandsteinen, vielfach durchbohrt und gebrochen, in

acht Reihen aufgeschichtet. Die „unerbitterliche Kraft der Gewaltlosen“ wird damit symbolisiert, „und Hoffnung auf Frieden und Verständigung“. So die Bildhauerin und Designerin Wittmute Malik, die das Werk schuf. Sie hatte einen Wettbewerb gewonnen, den die Gemeinde im Frühjahr 1987 ausgeschrieben hatte. Eine Jury aus Kunstsachverständigen und Kommunalpolitikern hatte die Auswahl getroffen. Auch der Rabbi der Bremer Israelitischen Gemeinde, Benyamin Barslai, war Mitglied der Jury gewesen.

Umgeben sind die Steine von einem weiten Karree aus zweifarbigem Kies. Fünf Pappeln, die die fünf Finger einer aufgereckten Hand darstellen sollen, werden in diesem Herbst am Rand des Kiesplatzes gepflanzt.

Lehrer und Schüler aus Stuhr, Vertreter der Parteien, Nachbarn aus den umliegenden Ortsteilen waren gestern zur Einweihung des Mahnmals gekommen. Erster

Redner war der Gemeindedirek tor von Stuhr, Hermann Rendigs. Die Debatte um das Mahnmal sei „ein schwieriger und mühsamer Entscheidungsprozeß“ gewesen, sagte er. Jeder einzelne habe zur Kenntnis nehmen müsse, daß die dunkle NS-Zeit „bis in die Gemeinde Stuhr reicht“.

Der Landesrabbiner von Westfalen, Barslay, in seiner Ansprache: „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, ist auch blind für die Gegenwart.“ Die Haltung des jüdischen Volkes in Israel sei nicht zu verstehen ohne den Holocaust, dem sie in Europa entkommen sind. Nur so könne man den Wunsch der Israelis nach „Sicherheit im eigenen Land“ und die „Vorkommnisse im Nahen Osten erklären. Deswegen dürfe man auch keine Parallelen zwischen Israel und dem NS-Staat ziehen. Zum Schluß sangen die Frauen von Obernheide, die greisen Überlebenden des Holocaust, die Nationalhymne Israels.

mw

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