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Chiles Militärs küren Pinochet

Der Diktator als Präsidentschaftskandidat präsentiert / Massenproteste in Santiago / 15jähriger Junge erschossen  ■  Aus Santiago Franziska Friz

Knappe anderthalb Stunden dauerte die Klausur, dann zogen die vier Generäle die Katze aus dem Sack: Chiles künftiger Präsident soll Pinochet heißen - sofern das Volk will. Am 5.Oktober werden die Chilenen zu den Urnen gerufen, um Ja oder Nein zum Kandidaten zu sagen, den die Militärs am Dienstag nun für eine weitere achtjährige Amtszeit offiziell vorgeschlagen haben.

Als Luftwaffenchef Matthei, Marinechef Merino, Carabinero -Chef Stange und Pinochet als Heereschef punkt zwölf Uhr das Verteidigungsministerium betraten, wurden sie vor dem Gebäude von einer enormen Menschenmenge mit Pfiffen begrüßt, und immer wieder „Mörder! Mörder!„-Rufe. Während die vier Militärs drinnen berieten, fuhren draußen schon die Wasserwerfer auf. Pinochet-Gegner verbrannten die Verfassung von 1980 und ließen Schweine loslaufen, denen sie eine Präsidentenschärpe umgebunden oder die sie als Militärs oder Kapuzenmänner (Verhörspezialisten) verkleidet hatten. Doch auch die Diktatur hatte mobilisiert.

Wie schon bei anderen Gelegenheiten wurden Tausende von Bewohnern der Armenviertel, die mit Geld und Essensbons entschädigt wurden, in Bussen angekarrt. Zivil gekleidete Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte provozierten gezielt Schlägereien. Vor dem Gebäude der Regierungsjunta, wo Marinechef Merino eine Ansprache ans Volk hielt („Menschen ohne Seele sind keine Menschen und verdienen eine entsprechende Behandlung“), kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Anhängern des Diktators.

Am Abend zogen die Demonstranten zur Moneda, dem Präsidentenpalast im Zentrum der Hauptstadt. Fortsetzung auf Seite 6

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Gebäudes Pinochet vor jubelnden Anhängern seine Nominierung annahm und eine pathetische Rede mit den Worten „Viva Chile“ schloß, knüppelten auf der Rückseite des Palastes Carabineros und zivile Trupps die Demonstranten zusammen, die das „Einheitskommando der Bewohner der Armenviertel“ (CUP) mobilisiert hatte.

Am Abend - die Soldaten durchkämmten gerade die Armenviertel La Granja und Lo Hermida - werden die ersten Bilanzen bekannt: vier ausgebrannte Busse, 364 Festnahmen (landesweit über 700), mindestens 21 Verletzte, ein Toter: der 15jährige Fredy Palma. Augenzeugen zufolge wurde er aus einem fahrenden Auto heraus erschossen.

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