: Oskar will es endlich wissen
■ Auf dem SPD-Parteitag ist der Streit um die Lafontaine-Thesen wieder scharf aufgebrochen
Im April hatten sich Oskar Lafontaine und DGB-Chef Breit nach einem Einigungsgespräch noch lächelnd der Presse gestellt. Doch jetzt, wo die Vorstandswahlen anstehen, geht der nach Höherem strebende Primus unter den Enkeln Willy Brandts in die Vollen. Sein Flickenteppich von wirtschaftspolitischen Tabuverletzungen fand bei den meisten Delegierten starken Beifall, die Gewerkschaftsführer gingen genauso an die Decke wie die SPD-Linke (Siehe Interview Seite 4).
Das war ein Hammer. Wohl nie zuvor hat ein stellvertretender SPD-Parteivorsitzender mit so wenig Rücksicht auf die gewohnten Sprachregelungen der Gewerkschaftsführer in einer wichtigen Grundsatzdebatte auf einem SPD-Parteitag gesprochen. Oskar Lafontaine wich in seinem Einleitungsreferat zur zukünftigen Wirtschaftspolitik keinen Millimeter zurück. An den Minen der zahlreich anwesenden Gewerkschaftsvorsitzenden konnte man schon während der Rede ablesen, wie wenig sie von den Lafontaine-Vorschlägen, die sich im wesentlichen im Leitantrag zur Wirtschaftspolitik wiederfinden, halten - auch wenn sie im Grundsätzlichen, wie IGM-Chef Steinkühler in der Diskussion sagte, zustimmten. „Kernpunkt des demokratischen Sozialismus ist es“, so Lafontaine, „daß dieses Projekt es ernst meint mit der Freiheit und den Freiheitsbegriff nicht aus dem Erwerbsleben ausklammert“. Freiheit im Betrieb erfordere „Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Beteiligung am Produktivvermögen“.
Den real existierenden Kapitalismus als Basis nehmen, ihn durch konsequente Steuer-, Mitbestimmungs- und Arbeitszeitpolitik zu einem ökologisch und sozial vertretbaren Gefüge umzugestalten, das ist Lafontaines Botschaft. Von Vergesellschaftung oder gar von Selbstbestimmung im Betrieb, also von der Überwindung der kapitalistischen Produktion, war bei Lafontaine dann konsequenterweise auch kein Wort zu hören. Die Juso -Vorsitzende Susi Möbeck fand nach seinem Beitrag, die Partei in einer „Hilfs-und Orientierungslosigkeit ohnegleichen“. Die „eigenen Anhänger“ wüßten nicht mehr, „was sozialdemokratische Sache ist“. Die Juso-Chefin zum Schluß: „Wo sind wir hier eigentlich?“
Nun, Lafontaine ließ durchaus erkennen, was er unter „linke Utopie“ versteht. Ökonomisch basiert sein Konzept auf dem Fundament, das der ehehmalige SPD-Geschäftsführer Peter Glotz schon vor Jahren so beschrieben hat: Die SPD müsse dem Kapital „vernünftige Verwertungsbedingungen garantieren“. Lafontaine hielt sich daran, auch wenn die Unternehmer von der Energiesteuer nicht begeistert sein werden, die Lafontaine im Verein mit der Hauff-Kommission fordert. Insgesamt komme es darauf an, so der Saarländer, „die Erwerbsarbeit auf Kosten der Energieverteuerung zu entlasten. Zur Entlastung der Erwerbsarbeit zählt Lafontaine auch die Flexibilisierung der Arbeitszeit. Während die Gewerkschaften beispielsweise versuchen, die Sonntagsarbeit und die Ausweitung der Schichtarbeit zu stoppen, empfiehlt Lafontaine, offen über „die Laufzeit von Maschinen und über die Verteilung der Arbeit über die Woche“ zu reden. Lafontaine will den Unternehmern bei den Betriebsnutzungszeiten bis hin zur Sonntagsarbeit entgegenkommen - auch wenn er die Sonntagsarbeit nicht in Zusammenhang mit der Produktion ansprach, sondern mit den Notwendigkeiten im Plege- und Betreuungsbereich listig zu begründen versuchte.
Gerade in diesem Punkt widersprach der IGM-Vorsitzende Franz Steinkühler heftig. Den Lafontaine-Satz, Teilzeitarbeit sei besser als gar kein Job, bezeichnete Steinkühler angesichts der tatsächlichen Teilzeitarbeitsplätze als „zynisch“. Auch der Vorschlag von Lafontaine, Lohnkostenzuschüsse für Unternehmen dann in Erwägung zu ziehen, wenn dadurch die Beschäftigung über den Produktivitätsfortschritt hinaus steigt, stieß auf erhebliche Kritik - nicht nur bei der Gewerkschaftsriege. Auch der SPD-Spitzenkandidat von Baden-Württemberg, Dieter Spöri, hält den Lohnkostenzuschlag für unakzeptabel. Einen solchen Zuschuß könne man in den Betrieben niemals kontrollieren. Am Ende müßte der Staat dann auch für gutverdienende Unternehmen wie Bosch und ITT zahlen.
Demgegenüber sprang Glotz dem saarländischen Minsterpräsidenten auch in dieser Frage bei: „Selbst wenn die SPD in Bonn die absolute Mehrheit habe“, so Glotz‘ schon fast marxistische Analyse, „hat sie noch nicht die Macht. Deshalb bin ich für den Flickenteppich.“ Gegen das Abschieben der Verantwortung nach Bonn hatte sich zuvor auch schon Lafontaine selbst ausgesprochen. Man sei bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit „verpflichtet, die Möglichkeiten, die wir jetzt haben, zu ergreifen“. Eine Lösung dieses Problems könne man „nicht auf den Regierungswechsel in Bonn verschieben“, sagte Lafontaine, der seine Lohnverzichtsthese für höhere Einkommensbezieher mit einem Vers aus dem sozialdemokratischen Liederbuch von 1903 verband: „Das Theilen, das ist unsre Freud / Das Theilen / Es lieben alle braven Leut / Das Theilen / Sozialdemokrat könnt der nicht sein, / dem niemals fiel das Theilen ein / Das Theilen.„ Dieses Lied können „wir, Franz, auch mehrstimmig singen“, so Lafontaine an Steinkühler gewandt. „Wir müssen es nur harmonisch über die Bühne bringen.“
Ob diese Harmonie sich wieder einstellt, steht dahin. Das klassisch sozialdemokratische Konzept, über eine keynesianische Nachfragepolitik mehr Beschäftigung zu schaffen, hält Lafontaine für den Ursachen nicht angemessen. Man könne nicht mit konjunkturellen Programmen „strukturelle Probleme“ lösen. Das Hauptproblem für ihn: „Das Volumen der bezahlten Erwerbsarbeit sank ständig, während die Zahl derjenigen, die eine bezahlte Arbeit suchen, ständig stieg.“
Walter Jakobs
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