HELLER ALS 1.000 NONNEN

■ Le Mystere des Voix Bulgares im Tempodrom

Bereits vor vier Tagen schwelgte die Kollegin Peitz in Sinustönen, Terzen, Quarten, Schwarten, Nonen und Tritonüssen zum Beweise, daß ihre langwierige und beschwerliche Ausbildung zur Musikwissenschaftlerin nicht umsonst gewesen sein dürfe und solle; zwei Tage später, am Mittwoch, nahm Kollege Heidkamp, der den Bulgarinnengesang bereits in Hamburg gehört hatte, just diese akademische Herangehensweise wie auch die kollektive, durch alle Geschmackskreise sich gleichermaßen windende wie würgende Begeisterung kundig aufs Korn, und nach wiederum Zweitagesfrist möchte nun auch ich heute noch hinterhergeeiert kommen, im Mysterium der bulgarischen Stimmen mich zu tummeln.

Es war das gesellschaftliche Großereignis der aufkeimenden Saison; alle sind wir dagewesen, Pamela hatte eine neue Frisur und Lutzi einen neuen Ring. Und gut ging's uns, und es war schön, daß wir alle wieder da waren und keiner fehlte gottseidank, nur der Votograf Owsnitzki hatte gerade einen Mopedfahrer übergemöllert und knetete die Hände und wrang das Gesicht und machte sich Gedanken; damit stand er so ziemlich alleine.

Und dann ging's auch schon los im großen Zelt und Psst, sei leise, Obacht, Kunst. Dreißig Übergardinen hingen auf der Bühne, aber dann konnte die Folklorewebware singen und es waren die bulgarischen Stimmwunder. Ja-wi-me-do-ro sangen sie, und es war so schön und so rein, niemals hatte man so etwas gehört, bis auf neulich, auf der Kassette, aber da gab es keine Trachtendirndl, keine Andacht, kein Sshhh, Hinsetzen, das ist ja eine Unverschämtheit!

Einig konnten wir uns sein, Kulturspießer und Wellawaver, Glitterschnatze und Studienrat, mehr noch, vereint; Wahnsinn, sagt die verhuschte Hornbrillentante zwei Meter weiter vorne, dabei ist es alles Methode. Durchs Land der Skipetaren, hin zu den Tartaren, auch China ist nicht weit, ewig locken die Sirenen, es ist fremd, es ist vertraut, und niemand hat jemals so schön gejault, auch ein Hund im Saal keift mit, das ist lustig, ooch, die Kreatur, aber wer raschelt, wird gesteinigt mit Blicken. Die Popanze haben's deklariert: große Kunst, die Sache ist klar, es gibt Begeisterte und es gibt Banausen, nichts sonst. Ein Erlebnis, ich sage Ihnen, es war ein Erlebnis, Silbe für Silbe wird das gehämmert, bis es etwas heißt.

Wieder schwingen die Stimmen quäkend ineinander, die dreißig Frauen stehen da und lächeln, sie sind genauso bieder wie sie sich geben, alles stimmt im Verhältnis eins zu eins, es gibt kein Mysterium, es ist ganz einfach, es ist Gesang. Prima Eiserner Vorhang: keine deutschen Vollexperten wie bei Tango und Flamenco.

Irgendwann, wenn der Ethno-Jubel vorbei ist und das Weltmusik-Gepingel verklungen, ist ein Konzert ein Konzert und kein Religionsunterricht.

wiglaf droste