: „Die Krise bestimmt unsere Arbeit“
Abdel Rahman Shulli ist Direktor der Energiebehörde des Sudan, als Energiewirtschaftler und -techniker ausgebildet an der Technischen Uni Dresden ■ I N T E R V I E W
taz: Herr Shulli, Ihr Land droht nach der aktuellen Flutkatastrophe im Chaos zu versinken. Macht es angesichts dessen Sinn, in Berlin über erneuerungsfähige Energien nachzudenken?
Shulli: Die Frage habe ich mir auch gestellt und fast beschlossen, nicht zu kommen. Aber in Afrika gibt es viele Krisen. Sie bestimmen unsere tagtägliche Arbeit. Wenn wir weitermachen wie bisher, kommen wir da nie heraus. Wir dürfen auch in Krisensituationen nicht aufhören, über die Zukunft nachzudenken.
Hätte die aktuelle Krise mit einer anderen Struktur der Energieversorgung in Ihrem Land besser bewältigt werden können?
Sicher. Und sicher haben wir mit dem traditionellen Weg, den wir immer gegangen sind, mit der Vernichtung der Wälder und allgemein den Eingriffen in die Ökologie die Überschwemmungen mit verursacht. Die Ressourcen für erneuerungsfähiger Energien in unserem Land sind sehr groß. Wir haben Wind, Wasser und natürlich Sonnenenergie. Die Bewältigung der Probleme bei deren Nutzung ist zwar schwer, aber wir hätten schon lange anfangen müssen, nach Alternativen zu suchen.
Ein kaum zu lösendes Problem nach der Flutkatastrophe sind unter anderem die fehlenden Transportmöglichkeiten für Dieselöl.
Ja. Ein Vorteil alternativer Energien ist ja, daß man die Ressourcen am Ort hat. Wenn man Wind- und Sonnenenergie oder Wasser nutzt, braucht man keinen Brennstofftransport. Dann wäre dieses Problem gar nicht entstanden.
Sie haben von großen Barrieren bei der Einführung erneuerungsfähiger Energien in Ihrem Land gesprochen. Welche sind das?
Eine der größten Barrieren ist, wie in anderen Entwicklungsländern auch, die Energiepolitik selbst. Man muß an die alternativen Energien glauben und sie in die Energieprogramme aufnehmen, damit es überhaupt eine Finanzierungsmöglichkeit geben kann. Zweitens muß man die vorhandenen Ressourcen erst genauer bestimmen, bevor man sie ausnutzen kann. Drittens sind die Preise der konventionellen Energieträger alle irgendwie subventioniert. Das erschwert eine wirtschaftliche Anwendung der neuen Energien. Ein großes Hindernis ist auch die schwache Infrastruktur des Landes. Man muß praktisch alles importieren. Das macht die Alternativen zusätzlich kostspielig.
Es gibt auch Barrieren, für die die sogenannten Geberländer verantwortlich sind.
Das stimmt. Man erforscht zu wenige Energietechnologien, die auch in Entwicklungsländern einzusetzen sind. In manchen entwickelten Ländern setzt man die Prioritäten anders, weil zum Beispiel die Solarenergie in tropischen Ländern besser und wirtschaftlicher einzusetzen ist. Vor allem kleine Anwendungen wie Solarkocher wurden bisher nicht forciert. Wenn man wirklich den Entwicklungsländern helfen will, muß man auf diesen Gebieten mehr forschen.
Was sind neben der Sonnenenergie die Energiequellen in Ihrem Land, deren Nutzung Sie sich in der gegenwärtigen Situation wünschen würden?
Wir haben natürlich auch Probleme mit der konventionellen Energieversorgung, etwa mit Elektrizität. Dazu muß man vor allem das Wasserkraft-Potential des Nils und anderer kleinerer Gewässer in Minikraftwerken mehr ausnutzen. Das größte Hindernis dabei ist die Finanzierung. Ein anderes Problem ist die Energieversorgung der Haushalte. Wir brauchen Alternativen zum Holz, weil wir die Wälder praktisch schon vernichtet haben. Da wären auch Biogas aus der Landwirtschaft und Windenergie einzusetzen.
Noch einmal zur aktuellen Situation im Sudan: Ihr Land leidet ja nicht nur unter Dürre und Überschwemmungen, sondern auch unter innenpolitischen Auseinandersetzungen zwischen dem christlich-animistischen Süden und dem mehrheitlich muslimisch-arabischen Norden. Kann die Katastrophe diese Kämpfe noch verschärfen?
Sicher. Der Sudan braucht vor allem Frieden. Den kann es nur geben, wenn man sich über die Probleme ohne Diskriminierung der verschiedenen Stämme auseinandersetzt. Kein Stamm kann den anderen besiegen. Es muß einen Staat geben, der nicht auf einer Religion, einem Stamm oder einer Hautfarbe basiert. Wir brauchen einen Staat, der für alle da ist. Damit alle Kräfte gemeinsam das Land aus der Krise herausführen. Das ist der einzige Weg.
gero
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