: Giftgasopfer im Irak verscharrt
Durch C-Waffen verletzte Kurden von irakischer Armee ermordet und in Massengräbern geworfen ■ Aus Genf Andreas Zumach
Um ihre Chemiewaffeneinsätze vor der eigenen Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit zu vertuschen, hat die irakische Armee in den letzten vier Tagen 1.300 verletzte Kurden Frauen, Kinder und unbewaffnete Männer - umgebracht und in Massengräbern in der nordwestlichen Region Dahok verscharrt. Das berichteten gestern in Genf Vertreter der Demokratischen Partei der irakischen Kurden sowie der kurdische Repräsentant bei der UNO, Salah Jmor. Nach ihren Angaben setzte die Armee Saddam Husseins am Mittwoch und Donnerstag erneut Chemiewaffen gegen die kurdische Minderheit ein. 43.000 kurdische Zivilisten würden seit dem 28.August in zivilen Gebieten der Provinzen Dahok, Akra, Barzen und Schahkan, weitere 23.000 in militärischen Sperrgebieten von irakischen Soldaten festgehalten. Sie erhielten weder Lebensmittel noch dringend benötigte medizinische Versorgung. Nach Angaben der kurdischen Vertreter kämpften zur Zeit rund 60.000 irakische Soldaten mit Bombenflugzeugen, Kampfhubschraubern und Artillerie gegen die Kurden. Diese Zahl wurde inzwischen vom US -Außenministerium bestätigt.
In den türkischen Medien gibt es zahlreiche Berichte über heftige Kämpfe nur wenige Kilometer jenseits der Grenze mit Irak. 90.000 Kurden sind nach Angaben der kurdischen Vertreter bislang über diese inzwischen offene Grenze in die Türkei geflohen, die entsprechend der UNO -Flüchtlingskonvention zu ihrer Aufnahme verpflichtet ist. Der türkische Ministerpräsident Özal Fortsetzung Seite 2
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hatte ihre Zahl am Donnerstag auf lediglich 60.000 beziffert. Die Türkei werde „das Notwendige unternehmen, um die Iraker aufzunehmen“, sagte Özal. Die angesprochenen irakischen Bürger seien zudem allesamt Moslems mit Verwandten in der Türkei. Das Verhalten der türkischen Regierung sei außerdem eine „gute Antwort an diejenigen, die im Ausland die PKK unterstützen“. Die marxistisch orientierte Kurdische Arbeiterpartei (PKK) führt im Südosten des Landes ihrerseits einen bewaffneten Kampf gegen die Zentralregierung in Ankara. Özal benutzte in seiner gesamten Stellungnahme kein einziges Mal die Begriffe „Kurden“ oder „Flüchtlinge“. Die Flüchtlinge forderten am Donnerstag mehr medizinische Hilfe und Nahrungsmittel. So demonstrierten in der Provinz Hakkari mehrere hundert Menschen mit den Parolen „Wo bleibt das Rote Kreuz“.
Die kurdischen Vertreter berichteten, die Türkei sei nur zur Unterbringung und Versorgung von 20.000 irakischen Kurden bereit. Die Türkei habe angesichts der Verfolgung von Kurden im eigenen Lande „kein Interesse an zu großer internationaler Aufmerksamkeit für das Kurdenproblem in den irakisch-türkisch-iranischen Grenzregionen“, vermuteten sie.
Nach Angaben der örtlichen Behörden warten weitere 20.000 Kurden auf irakischem Territorium darauf, die Grenze in die Türkei überqueren zu dürfen. Die Sicherheitskräfte begannen unterdessen mit Personenkontrollen unter den Geflüchteten, um die Infiltration von PKK-Rebellen zu verhindern. Nach übereinstimmenden Angaben von Lokalreportern haben geflüchtete Peschermargas (kurdische Separatisten im Irak) bis Donnerstag 4.700 Gewehre an die türkischen Behörden übergeben.
Nach seinem Treffen mit einem Beauftragten von UNO -Generalsekretär Perez de Cuellar zeigte sich Salah Jmhor leicht optimistisch, ohne allerdings irgendetwas Konkretes mitteilen zu können. Der Generalsekretär „hat Möglichkeiten, wenn er will“. Wie es tatsächlich um die Unterstützung für die Kurden in der internationalen Völkergemeinschaft steht, zeigt ein Vorgang am Donnerstag abend. Der Unterausschuß „zur Verhinderung von Diskriminierung und für den Schutz von Menschenrechten“ der UNO-Menschenrechtskommission lehnte die Abstimmung einer Resolution zum Irak ab. Diese war bereits äußerst milde gefaßt, erwähnte nur die Chemiewaffeneinsätze der Vergangenheit und die kurdische Minderheit überhaupt nicht. Dennoch wurde ihre Befassung auf Antrag Marokkos von den Vertretern sämtlicher sozialistischer und arabischer Staaten abgelehnt, darunter die UdSSR, Kuba, Jugoslawien, Jordanien, Algerien, Somalia und Äthiopien.
Die „Demokratische Partei Kurdistans“ (PDK) erklärte in einem in der Nacht zum Donnerstag in Ost-Berlin verbreiteten Kommunique, am frühen Montag morgen, habe die irakische Armee eine Großoffensive eingeleitet, die weiterhin anhalte. Insgesamt seien 60.000 irakische Soldaten mit Panzern, Artillerie, Hubschraubern und Kampfflugzeugen in die heftigen Gefechte verwickelt. Die zum Wochenbeginn gestartete Offensive ziele insbesondere auf die von der PDK befreiten Gebiete. Bombardemends hätten zahlreiche Opfer in der Zivilbevölkerung und in den Reihen der Rebellen gefordert, die bis zum Waffenstillstand im Golfkrieg von iranischer Seite unterstützt worden waren. Die irakische Armee habe Brände gelegt, ganze Dörfer verwüstet und Massaker unter den Bewohnern angerichtet.
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