: Wundersame Auferstehung der „Aussies“
■ Australier betätigen sich als Favoritenschrecks bei den US Open / Steffi Graf deutscher Restposten
Berlin (taz) - Vor zwei Jahrzehnten beherrschten sie noch das Welttennis, dann ging es rapide bergab: die Australier. Nach John Newcombe, Roy Emerson, dem zweimaligen Grand-Slam -Gewinner Rod Laver und anderen Koryphäen kam erst lange gar nichts, dann kam Pat Cash, der vor zwei Jahren fast im Alleingang den Daviscup nach Down Under holte, im letzten Jahr Wimbledon gewann und den anderen Filzballprüglern seiner Heimat neue Hoffnung gab. „Als Pat ins Rollen kam“, berichtet Mark Woodforde, „haben wir uns gesagt: Hey, wir haben alle eine Chance, die Topspieler zu schlagen.“
Gesagt, getan! Die „guten Kumpels“ (Woodforde) aus Australien erwiesen sich bei den Offenen Tennismeisterschaften der USA in Flushing Meadow (New York) auch ohne Cash, der wegen einer Achillessehnenverletzung fehlt, als Stolpersteine für eine ganze Reihe von Favoriten, wobei sie sich nicht scheuten, schamlos von den Blessuren und Wehwehchen einiger Cracks zu profitieren. Woodforde selbst machte den Anfang, schlug zum zweiten Mal binnen kurzem John McEnroe und beendete dessen Hoffnung, in seiner Heimatstadt endlich das seit zwei Jahren angestrebte Comeback landen zu können. Dann kam Darren Cahill, immerhin 35. der Weltrangliste, daher, traf auf einen fußkranken Boris Becker, der wenige Tage vor dem Turnier die Schuhmarke gewechselt hatte, was ihm viel Geld, aber auch eine fünfmarkstückgroße Blase unter der Fußsohle einbrachte, und besiegte den Deutschen in drei Sätzen 6:3, 6:3, 6:2. Becker, dessen Fuß außer schlecht beschuht auch noch entzündet ist, bewegte sich, als balanciere er auf Eiern und fügte sich ergeben in sein Schicksal: „Ich habe jetzt zwei Monate die Zähne zusammengebissen, heute waren keine mehr da.“ Doch auch ein zahnloser Boris kann inzwischen seine Enttäuschungen ganz gut verwinden. Abends tanzte er schon wieder eifrig mit seiner Freundin auf einer Party. „Hoffentlich tritt ihm keiner auf den Fuß“, wünschte ihm ein Beobachter Glück.
Jason Stoltenberg spielte gegen Yannick Noah recht gut, hätte aber sicher mehr Probleme gehabt, wenn sich der Franzose nicht mit einer Knieverletzung herumgeplagt und beim Stande von 6:2, 6:7, 5:1 für Stoltenberg aufgegeben hätte. „Irrsinnig“ seien die Schmerzen gewesen, schon „beim Zähneputzen“ habe er gewußt, daß es heute nichts werde, erklärte der 28jährige Noah und kündigte Konsequenzen an: „Ich werde mich in Zukunft für die Seniorenturniere anmelden.“
Vierter im Bunde der erfolgreichen „Aussies“ war John Frawley, Sieger gegen den Franzosen Henri Leconte. Nicht gegen einen Australier, sondern gegen den Spanier Emilio Sanchez verlor Miloslav Mecir (3:6, 6:3, 6:7, 1:6), aber einige Topspieler kamen auch weiter. Der Schwede Mats Wilander zum Beispiel, der seinen Landsmann Mikael Pernfors mit 6:4, 6:0, 7:5 heimschickte, Andre Agassi (4:6, 6:2, 6:3, 6:4 gegen Leach/USA) und Ivan Lendl (6:2, 6:4, 6:1 gegen Berger/USA).
Wesentlich planmäßiger geht es bei den Frauen zu. Von den Finalaspirantinnen flog bis Samstag nur die Reagan- und Bush -Wahlwerberin Pam Shriver raus, ironischerweise gegen die Gesandte Gorbatschows, Leila Meshki (4:6, 6:1, 6:4). Während in der dritten Runde mit Sylvia Hanika (7:6, 3:6, 5:7 gegen Patty Fendick/USA), Claudia Kohde-Kilsch (3:6, 6:2, 3:6 gegen Stephanie Rehe/USA) und Isabel Cueto (1:6, 6:1, 3:6 gegen Manuela Maleeva/Bulgarien) die letzten deutschen Vertreterinnen neben ihr die Segel streichen mußten, geht Steffi Graf unbeirrt ihren Weg zum Grand Slam. Mit 6:0, 6:1 fertigte „die schnellste lebende Ballmaschine der Welt“ ('Philadelphia Star‘) die Französin Nathalie Herremann in 44 Minuten ab. Bis auf die Klimaanlagen sei alles „wunderbar“, freute sich Steffi Graf, deren Chancen, als dritte Spielerin der Tennisgeschichte den Grand Slam - Sieg bei den Turnieren von Melbourne, Paris, Wimbledon und Flushing Meadow innerhalb eines Jahres - zu gewinnen, ausgezeichnet stehen. Nur vier Menschen (Donald Budge, Rod Laver, Margaret Court und Maureen Connolly) ist dieses Kunststück bisher gelungen, viele andere hatten - wie Steffi Graf - die ersten drei Siege in der Tasche und scheiterten beim letzten.
Margaret Court, selbst fünfmal in dieser Situation und nur einmal erfolgreich, hat für Steffi, die sie vor allem wegen ihrer „Schüchternheit und Familienverbundenheit“ schätzt, einen guten Ratschlag parat: „Cool bleiben!“ Das dürfte Steffi Graf nun wirklich nicht schwerfallen.
Matti
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen