: Das Denkmal Walesa zeigt Risse
Nach der endgültigen Beilegung der jüngsten Streikwelle sind Polens Intellektuelle zunehmend verunsichert von der Taktik des Arbeiterführers / Ein Generationskonflikt zeichnet sich ab ■ Aus Warschau Roland Hofwiler
Sie fühlt sich verschaukelt. „Jeden morgen stand ich um sechs Uhr auf, um die Pressemitteilungen der Solidarnosc ins Englische zu übersetzen, ich tat's ja gern für mein Volk und Vaterland, aber ausnützen laß‘ ich mich nicht“, erklärt Kararzyna Korycik wütend.
Die junge polnische Intellektuelle entschloß sich spontan, bei der Streikbewegung mitzumachen. „Freiheit, und wenn nicht dies, so zumindest mehr Freiräume“, antwortet Kararzyna auf die „blöde Frage“, was sie sich von den vergangenen zwei Wochen erhoffte. Jetzt, nach dem endgültigen Ende der Streiks, will sie Ergebnisse und - vor allem - Klarheit: Ist das Idol Walesa endgültig zum Kollaborateur der roten Generäle abgesackt, oder gibt es Anzeichen, die seinen Ruf als weitsichtigen Kämpft er für die Sache der Arbeiter Polens bekräftigen? Um Gewißheit zu bekommen, sucht sie einen Bekannten auf, der sie in den Kreis der Opposition brachte. Dr.Shuell schüttelt nur den Kopf. Er wisse nichts. Ja, er habe zwar mit Lech in Danzig telefoniert, Lech habe bestimmend erklärt: „Ich, ich fordere, brecht die Streiks ab. Ich sehne mich nach Dialog und Verständigung.“ Mehr sei dem Arbeiterführer nicht zu entlocken gewesen.
Darek Rupinski, Mitbegründer der „Freiheits- und Friedensbewegung“, ortet die Lage, ohne sich lange den Kopf zu zerbrechen, so: „Es gab für die Solidarnosc gar keine andere Möglichkeit, als beim kleinsten Zugeständnis der Macht auf Dialogbereischaft umzuschwenken.“ Er braucht für sich keine weiteren Erklärungen, um Walesas Schritte zu befürworten: „Unsere Gesellschaft ist noch immer gelähmt. Die Streiks zogen sich schleppend hin. In ihnen repräsentierten sich vorwiegend die Jungarbeiter, die alten sahen distanziert zu. Walesa, für sieben Jahre die Unperson, wurde offiziell empfangen. Das war eine Geste, die beide Seiten ihr Gesicht wahren ließ.“ Sein Freund Slawek Dutkiewicz, ein Wehrdienstverweigerer und aufgrund einer Amnestie gerade erst aus dem Knast entlassen, setzt dagegen auf Kampf: „Uns, von der Bewegung 'Freiheit und Frieden‘, war die Solidarnosc nach Verhängung des Kriegsrechts 1981 zum einen zu lasch, zum anderen zu konspirativ. Wir machen offen Politik, ohne illegalen Untergrundkampf und doch auch nicht mit Hilfe von Geheimdiplomatie.“ Slawek interessiert wenig, was Walesa mit der Regierung aushandelte. Er fühlt sich seiner Alternativbewegung treu, setzt sich für Umweltthemen ein und eine zivile Gesellschaft.
Marek Krukowski, einer der Breslauer Köpfe dieser Alternativen, sieht eine tiefe Spaltung innerhalb seiner Gruppe: „Die einen bejubeln die alte Gewerkschaftsgarde und träumen von einem neuen 1980, und für die ist alles recht, was Walesa sagt, den anderen geht der pathetische und besserwisserische Teil der alten Arbeiteridole voll auf die Nerven.“ Als junge Kumpel ihrer materiellen Unzufriedenheit Luft verschafft hätten, seien die alten gekommen und hätten denen erst mal erklärt, wie man sich zu organisieren habe. „Wer nicht hören wollte, konnte nach Hause gehen, aber in unserer traditionellen Gesellschaft hört man alllgemein auf das, was Papa und Mama sagen, so auch diesmal“, erklärt Marek. Und die Resultate? Er wisse nicht, wie ernst man die Dialogbereitschaft der Herrschenden einschätzen könne. Bodgdan Klich, Herausgeber der Samizdat(Untergrund-)Schrift 'Tumult‘, Intellektueller, Analytiker, verweist auf den Roman „Transatlantik“ des Nationaldichters Witold Gombrowicz. „Da steht alles drin.“ Es ist die tragische Geschichte von Polen in der argentinischen Emigration zu Beginn dieses Jahrhunderts. Sie träumen von einem vereinten Polen. Die Alten erinnern sich auf pathetische Weise an ihre Freiheitskämpfe und ziehen daraus ihre Hoffnung. Ihre Kinder lauschen den Erzählungen und können damit nichts anfangen. Was ist das, Polen? Wo liegt es überhaupt, das Land ihrer Väter? Bogdan hat noch ein Parteiblatt vom Wochenende. Darin die Notiz: Nach einer Umfrage des staatlichen Meinungsforschungsinstituts können sich nur drei Prozent aller jungen Polen vorstellen, Erfolg im Leben zu haben, wenn sie im Lande blieben. Fast alle glauben, nur außerhalb der Heimat könne man es zu etwas bringen.
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