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300.000 auf Santiagos Straßen

■ Größte Demonstration seit Pinochets Machtübernahme / Dem Diktator soll beim Präsidentschaftsreferendum eine Niederlage bereitet werden / „Er wird fallen“ skandierten sie / Polizei antwortete mit Tränengas und Wasserwerfern / 262 Demonstranten festgenommen

Santiago/Berlin (afp/wps) - Bei der größten Demonstration seit Pinochets Machtübernahme 1973 feierten mehrere Hunderttausend Chilenen am Sonntag die Fortsetzung ihrer „No„-Kampagne, mit der sie dem General bei dem Präsidentschaftsreferendum Anfang nächsten Monats eine Niederlage bereiten wollen. „Er wird fallen“, sangen sie in Chören und tanzten den Siegeswalzer.

Während die Polizei von 60.000 Demonstranten sprach, gingen Veranstalter und Beobachter von etwa 300.000 Teilnehmern aus, die gegen das Militärregime und gegen Staatschef Augusto Pinochet protestierten. Pinochet bewirbt sich als Einheitskandidat bei dem Referendum für eine weitere Amtszei. Nach einer ersten Bilanz der Behörden wurden bei den sich entwickelnden Auseinandersetzungen neun Personen zum Teil schwer verletzt. 262 Demonstranten wurden festgenommen. Pinochet zeigte sich unterdessen in einem Interview davon überzeugt, bis 1997 an der Macht bleiben zu können.

Die zunächst friedliche Veranstaltung am 18. Jahrestag der Wahl, bei der der Sozialist Salvador Allende an die Macht kam, fand außerhalb des eigentlichen Stadtzentrums statt. Als einziger Redner trat der Führer des Zusammenschlusses von oppositionellen Verbänden und sozialen Organisationen (ACUSO), Hector Moya, auf. In Anspielung auf die jüngsten Liberalisierungsmaßnahmen Pinochets erklärte er, es genüge nicht, die Uniform auszuziehen, um kein Diktator mehr zu sein. Er glaube deshalb nicht daran, daß Chile nach einem Sieg Pinochets bei dem Plebizit am 5.Oktober zu einer Demokratie werde. Der Triumph der „No„-Kampagne bei dem Referendum müsse zu einer Übergangsregierung und dann zur Demokratie führen. Dafür müsse sich die Opposition aber mit dem Militär einigen.

Im Anschluß an die Veranstaltung formierten sich Tausende von Demonstranten und marschierten zum Präsidentenpalast La Moneda. In zahlreichen Straßen errichteten sie Barrikaden, um den Verkehr zu blockieren. Die Sicherheitskräfte versuchten, den Marsch zu unterbinden und gingen mit Tränengas und Wasserwerfern gegen die Demonstranten vor. Daraufhin entwickelte sich nach Zeugenberichten eine Straßenschlacht, die sich an verschiedenen Orten über zwei Stunden hinzog. Die Demonstranten bewarfen die Sicherheitskräfte mit Steinen und Knüppeln. Unter den Schwerverletzten ist nach Angaben der Behörden auch ein Polizeibeamter. Die Auseinandersetzungen am Sonntag waren die zweiten innerhalb weniger Tage. Am vergangenen Dienstag war es im Anschluß an die Nominierung Pinochets zum Einheitskandidaten der Junta zu Protesten gekommen, in deren Verlauf drei Jugendliche getötet wurden.

Pinochet erklärte unterdessen in einem Fernsehinterview, er sei sicher, daß er bis 1997 an der Macht bleiben werde. „Ich werde das Referendum gewinnen“, sagte der General, der seit 15 Jahren an der Macht ist. Zuvor hatte er sich zum vierten Mal innerhalb einer knappen Woche am Sonntag an die Bevölkerung seines Landes gewandt und sie um Unterstützung seiner Kandidatur für das höchste Staatsamt gebeten.

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