piwik no script img

Chefarzt fürchtete sich im Klinikkeller

■ Der frühere ärztliche Direktor „St.-Jürgen-Straße“ ließ sich vom Untersuchungsausschuß diverse Würmer aus der Nase ziehen / Mit Galla auf Dienstreise in Florida / Hygieneprobleme: „Der Keller war mein Alptraum“

Walter Henschel hatte zwölf Jahre lang einen stressigen Job im Klinikum „St.Jürgen-Straße“. Die Vormittage waren zwar noch relativ angenehm, da arbeitete er

in seinem lukrativen Metier als Chef der Anästhesie und verhalf PrivatpatientInnen zu örtlichen Betäubungen und Vollnarkosen. Doch an den Nachmittagen, da

sollte er als ärztlicher Direktor des Zentralkrankenhauses alle 23 Chefärzte - „alles arrogante Herren“ - koordinieren und das Riesen-Unternehmen mit seinen 90 Stationen kollegial leiten. Das kostete Nerven, auch die seiner Ehefrau und im Nachhinein gibt er ihr recht: „Das waren sechs Jahre zuviel“. Prof. Dr. Henschel gestern vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß: „Ich war ziemlich überfordert und mußte mich allein mit einer älteren Sekretärin abstrampeln“.

Während dieser zwölf Jahre - von 1976 bis 1987 - arbeitete Henschel in dem Leitungsgremium formal gleichberechtigt mit dem Verwaltungsdirektor Aribert Galla, der Anfang 1988 zur schillernden Zentralfigur von „St.-Jürgen-Gate“ avancierte. Von allen illegalen Galla-Machenschaften will Henschel nichts gewußt und höchstens kürzlich aus der Zeitung erfahren haben. Das einsilbige Natürlich, laut Dienstvertrag habe auch er als ärztlicher Direktor eine Gesamtverantwortung für die wirtschaftlichen Entscheidungen gehabt, aber da sei der neue jung-dynamische Verwaltungsdirektor vorgewesen: „Galla saß auf dem Gelde und hatte das letzte Wort. Galla schoß aus der Hüfte, machte

die Ärmel hoch und regierte.“ Nur einen einzigen abgekarteten Galla/Hentschel-Deal konnte der Ausschuß gestern nachweisen: Die beiden Direktoren hatten gemeinsam eine elftägige „Dienstreise“ nach Florida unternommen, diese Reise hatten sie sich jedoch nicht von ihrem Dienstherrn, der senatorischen Behörde, genehmigen lassen, sondern sich kurzerhand gegenseitig per Unterschrift gestattet. Diese „Dienstreise“ hatte vor allem deshalb Furore gemacht, weil zur gleichen Zeit Pflegesatzverhandlungen in Bremen angesetzt waren.

Die Verantwortung für seinen ärztlichen Zuständigkeitsbereich wälzte Henschel zum größten Teil auf Galla ab: Galla habe ihm keine Gelder genehmigt, um die hygienischen Mißstände in der Klinik zu beseitigen. Während Henschel früher jedoch die hygienische Situation in der Klinik mit dem Prädikat „besonders gut“ belegt hatte, konnte er bei dieser zweiten Vernehmung nicht umhin, einige Abstriche zu machen: „Das ist schon 1963 ein Skandal gewesen. Schon 1963 bei seiner Inbetriebnahme war das chirurgische Zentralgebäude eine Katastrophe. Bei der schludrigen Bauweise hätte man es nicht abneh

men dürfen. - Ein schreckliches Haus.“ Am meisten Unbehagen hatte dem ärztlichen Direktor die Bettenzentrale im Untergeschoß bereitet, die als Hort für Krankenhauskeime bereits des öfteren im Ausschuß angeführt wurde: „Dieser Keller war mein Albtraum.“ Verantwortung für diesen Albtraum verspürte Henschel jedoch nicht. Galla habe ihm für Um-und Neubauten keine Gelder genehmigt. Galla wiederum erklärte, Henschel sei zu überlastet gewesen, um hygienische Probleme zu lösen.

Prof. Henschel hat jedoch nicht nur Unangenehmes erlebt. Er entwickelte gemeinsam mit einer Firma ein „schönes“ Narkose -Gerät und machte sich damit stolz und unsterblich: „Man sagt, ein Mann sollte ein Buch geschrieben und einen Baum gepflanzt haben. Bei uns sagt man, ein Anästhesist sollte ein Narkosegerät entwickelt haben.“ Er sorgte dafür, daß das Gerät im Klinikum angeschafft wurde - eine Anschaffung, die bis zu 70.000 Mark Mehrkosten verschlungen haben könnte.

Seit dem 1.1.88 kann sich Henschel wieder voll seinen schönen Narkosegeräten widmen, nur der Keller, der macht ihm immer noch angst. Barbare Debu

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen