: Kugelschreiber, Medientürme, Luftschlösser
■ Berlin - architektonische Entwürfe für den Aufbruch in das 21.Jahrhundert - eine Ausstellung in der Kunsthalle
Eine Architekturausstellung als Multi-Media-Show mit schreiendschräger Avantgarde-Musik, Videoclips und aufwendig ausgeleuchteten Environments: Das paßt gut in den Rahmen des kulturellen Dauerspektakels in Berlin, der Möchtegern -Kulturhauptstadt Deutschlands. Aber benötigt eine kreative städtebauliche Diskussion diesen Werberummel?
Dabei hatte die rührige Kirstin Freireiss von der Architekturgalerie Aedes eine durchaus ernstzunehmende Idee. Unter dem Motto „Berlin - Denkmal oder Denkmodell“ bat sie international rennomierte Baukünstler und junge Architekten um Entwürfe für den Aufbruch der Stadt in das 21.Jahrhundert: „Gesucht werden“, schrieb sie ihnen, „zukunftsweisende Landmarks, die sich aus der besonderen Situation Berlins ergeben.“
Prompt haben nicht wenige Architekten zum Thema ihrer Beiträge die Mauer erhoben, die sie mit gigantischen Museumsbauten überbrücken wollen, auf der Bahnhöfe Platz finden sollen oder die sie von beiden Seiten sinnigerweise mit großen Freitreppen anleitern. Ein anderes Thema ist der ehemals zentrale Bereich zwischen Reichtagsgebäude, südlichem Tiergartenviertel und dem Kulturforum. Wie praktisch, daß in dieser unbewältigten Planungswüste gerade erst der Wettbewerb für das Deutsche Historische Museum stattgefunden hat. Da scheute mancher nicht, den durchgefallenen Entwurf noch einmal zu präsentieren. Und natürlich darf zur Zeit in einer Architekturausstellung eine reiche Auswahl von Hochhausentwürfen nicht fehlen. Das mag in anderen Städten wie Frankfurt seine Berechtigung haben. In Berlin zeigen solche Ideen bloß, wie modebestimmt das Denken vieler Architekten ist. Das Büro Bofinger zeigt z.B. riesige Kugelschreiber auf den ehemaligen Schmuckplätzen der Friedrichstraße. Peichl stellt einen etwas zurückhaltender diomensionierten „Medienturm“ auf den Ernst-Reuter-Platz. Chrisoph Mäckler will sogar das Wahrzeichen West-Berlins, die Ruine der Kaiser-Wilhlem-Gedöchtniskirche mit einem überhöhten Antennenturm entweihen. Letztlich bleibt alles aber schöner High-Tech-Quatsch, der mit der Standard -Nutzmischung aus Cafe, Buchladen und Büro nur mühsam die eigene Überflüssigkeit kaschiert. Berlin biete schon längst nicht mehr die sozio-ökonomischen Grundlagen, die allein die Idee des Wolkenkratzers lebendig und notwendig machen.
Interessanter sind da schon die gedachten Bauten, die sich mit der Rückgewinnung von Technik- und Verkehrsräumen zu Erlebnissphären der Stadt beschäftigen. Dazu gehört Andreas Reidemeisters „Stadtelevator“, ein übergroßes Aufzugs- und Aussichtsgebäude, das er über das U-Bahnkreuz am Gleisdreieck mit seinen alten, ineinander verschachtalten Industriehallen spannt. Aber mit solchen Sehhilfen schaut sich die Stadt nur immer wieder selbst an, macht zwar Verborgenes sichtbar, geht über die Gegenwart aber nicht hinaus. Eher wieder zurück. Und dort wird manchmal Erschreckendes sichtbar, wie z.B. in den Architekturvisionen von Miroslav Sik, dessen dunkle und düstere Prospekte Erinnerungen an HJ-Schulungsburgen wach werden lassen.
Selten sind die Beiträge, die sich mit der vorhandenen Stadt als Lebensraum wirklich auseinandersetzen. Je unspektakulärer, desto interessanter sind sie: Vittorio Lampugnanis Vorschlag zur städtebaulichen Ordnung des Durcheinanders um das Kantdreieck herum ist hier zu nennen oder Max Dudlers Ideen für verschiedene Brachen in der Weststadt.
Trotzdem: der Weg in die Kunsthalle lohnt sich, allein schon wegen der Fülle des Dargestellten und wegen des ästhetischen Reizes, den viele der teuren Modelle und Zeihchnungen besitzen. Genau dies führt aber zu dem Grunddilemma, in dem sich die Arichitekten hierzulande befinden. Nirgendwo auf der Welt gibt es dermaßen viele Angehörige dieser Zunft. Und nirgendwo auf der Welt wird das Baugeschehen dermaßen von Paragraphen drangsaliert, so daß von einer guten Bauidee bei ihrer Verwirklichung oft kaum noch etwas übrigbleibt.
Bernhard Wolter-Schäfers
Staatliche Kunsthalle Berlin, Budapester Straße 44, bis 5. Oktober, Di-So 10-18 Uhr, Mi -22 Uhr, Katalog Ernst + Sohn, 39 DM)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen