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Engholms Schonfrist läuft ab

■ Eine Bilanz nach 100 Tagen SPD-Regierung in Schleswig-Holstein / Von Jörg Feldner

An die 40-Prozent Frauenquote, die der SPD-Parteitag gerade abgesegnet hat, kommt Björn Engholm mit seinem Kabinett schon fast heran: Vier Frauen stehen sieben Männern gegenüber - jedenfalls, wenn es um die Spitzen der Ministerien geht. Und sie müssen sich auch nicht mehr „Frau Minister“ nennen lassen. Doch eine Stufe drunter sieht es schon gar nicht mehr lila aus: Unter den Staatssekretären ist keine einzige Frau. Zur Erinnerung: 55 Prozent bekam die SPD bei den Nach-Barschel-Wahlen vom 8.Mai, 33 die CDU. Grüne und FDP blieben unter ferner liefen.

Alles, was Geld kostet, hatte er mit einem „Finanzierungsvorbehalt“ versehen. Die Gratis-Reformen ging er aber auch prompt an.

Der Radikalenerlaß, nach dem bisher über jeden Bewerber für den öffentlichen Dienst Auskünfte beim Verfassungsschutz eingeholt wurden, ist abgeschafft, die ersten zwei DKPler sind in den Schuldienst gekommen. In der Flüchtlingspolitik: Städte und Kreise werden vom Land nicht mehr gezwungen, die Asylbewerber zu kasernieren.

Schwieriger schon fällt der SPD eine neue Gesundheitspolitik. Als sie noch in der Opposition steckte, hielt die SPD es für durchaus plausibel, tausend selten genutzte Krankenhausbetten zu streichen. Nach der Wahl hat ein (noch zu Barschelzeiten beauftragter) Gutachter genau dies empfohlen. Doch jetzt tut Sozialminister Günther Jansen so, als habe für ihn ein Bettenabbau nie zur Debatte gestanden. Der Grund: In den Kommunen kämpfen alle Parteien so heftig für den Erhalt ihrer Krankenhäuser, daß Jansen sich höchstens symbolische Schließungen erlauben kann.

Der von linken Ärzten geforderte umgekehrte Weg, die Krankenhäuser entsprechend dem gesundheitlichen Abwärtstrend der Bevölkerung sogar auszubauen, findet in der SPD, die keinen guten Draht zur Ärzteschaft hat, ebenfalls kein Gehör. Nicht einmal die von vielen Ärzten und Altenpflegern erhobene Forderung, zum Beispiel Entbindungsstationen zu geriatrischen Stationen umzubauen (entsprechend der geriatrischen Entwicklung), fällt in der SPD-Fraktion auf fruchtbaren Boden.

Zögerlich

Ähnliches gilt für den Abbau der drei psychiatrischen Großkrankenhäuser zugunsten einer dezentralen und ambulanten Versorgung psychisch Kranker. Nachdem sie bis zur Wahl durchgreifende Reformen angekündigt hatte, will die SPD nun doch lieber nur den Bau von zwei Psychiatriestationen an bestehenden Kommunalkrankenhäusern wagen. Kommentar der Therapeutenszene: Alles Ausflüchte! Die wohnortnahe oder auch ambulante Versorgung der meisten psychisch Kranken sei doch schon längst kein medizinisches Wagnis mehr. Für das Zögern der SPD gibt es allerdings eine einfache Erklärung: Die drei psychiatrischen Großkrankenhäuser sind die wichtigsten Arbeitgeber in ihren Orten; ihre teilweise Auflösung müßte da gegen die Gewrekschaften durchgeboxt werden.

An der Gesundheitspolitik deutet sich ein Dilemma dieser SPD-Regierung an, das sich auf anderen Gebieten wiederholt: Es gibt zwei Linien in Engholms Kabinett. Die eine Gruppierung hält eine frontale Auseinandersetzung mit dem Beamtenapparat und den Interessenverbänden für nicht zu gewinnen und will sozialdemokratische Regierungspolitik darauf beschränken, dem Bestehenden hie und da Sahnehäubchen aufzusetzen. Die andere Gruppe möchte möglichst viel umkrempeln, und zwar möglichst schnell, damit der Streit bereits bis zu den Kommunalwahlen 1990 weitgehend abgeklungen ist. So passiert es, daß in der Ablehnung des gezielten Todesschusses die Polizisten-Arbeitsgemeinschaft in der SPD viel entschiedener auftritt als Engholm.

Glanzstück der Regierungsarbeit ist der Versuch von Sozial und Energieminister Günter Jansen, das Atomkraftwerk Brokdorf nach dessen erstem Brennelementewechsel nicht wieder anschalten zu lassen. Die abgebrochenen und teilweise im Druckbehälter verschwundenen Federn, Abstandhalter und Zentrierstifte bewiesen zwar, daß es in dem AKW gravierende Konstruktionsfehler gibt, aber für Bundesumweltminister Töpfer war das egal: Er wies die Kieler Regierung an, Brokdorf wieder anzuschalten. Legale Gegenmittel hatte Jansen nicht mehr, ob eine Klage gegen die Bundesregierung aufschiebende Wirkung gehabt hätte, ist unter Juristen zumindest umstritten. Und an Blockaden will sich Jansen immer noch nicht beteiligen, erklärte er an der Unterelbe. Im Gegenteil: Er forderte die 50 unentwegten Demonstranten auf, die Blockaden einzustellen.

Neue Ausstiegs-Abteilung

Jansens Vorstoß wird in Kiel bei SPD und CDU gleichermaßen als erster Schritt hinein in einen jahrelangen Zermürbungskrieg gegen die Betreiber und die Bundesregierung eingeschätzt. Die abgebrochenen Metallteile hatten genau das sicherheitsphilosophische Kaliber, mit dem sich die Schlacht eröffnen ließ, ohne daß bei einer verlorenen Runde gegen Töpfer gleich der Kampf beendet war. Nun weiß Jansen, daß er es beim nächsten Mal anders anfangen muß, will er den Schlagabtausch wenigstens mehr in die Länge zu ziehen. Die Voraussetzungen dafür schafft er gerade in seinem Ministerium: Die alte AKW-Abteilung wird völlig umgekrempelt, die Befürworter wurden versetzt oder suchen von sich aus Posten in der Wirtschaft. Unter Federführung des linken sozialdemokraten Klaus Rave, bisher SPD -Landesgeschäftsführer, entsteht eine ganz neue „Ausstiegs„ -Abteilung.

Den größten Respekt unter Engholms Mann- und Frauschaft erwarb sich der parteilose Umweltminister Berndt Heydemann. Die meisten Beobachter hatten den Ökologieprofessor als Primadonna eingestuft, als jemand, der für den politischen Alltag zu empfindlich sei und der nach den ersten Krächen mit dem bulligen Landwirtschaftsminister Hans Wiesen verzagt demissieren würde. Doch beim Seehundsterben legte die Primadonna ein Arbeitstempo vor und dann einen Ideenreichtum, der das übrige Kabinett und selbst den mächtigen Bauernverband blaß aussehen ließ. Immerhin wird Schleswig-Holstein das erste Bundesland sein, dessen Klärwerke kein Phosphat mehr durchlassen.

Schneller als von Engholm angekündigt, sollen ab 1989 weitere Gesamtschulen geschaffen werden. Der Druck von SPD -Basis, GEW und einigen Eltern auf die Regierung fiel stärker aus als erwartet. Der Protest (Motto: Untergang des Abendlandes) wird gegenwärtig nur noch vom Philologenverband und Teilen der CDU getragen. Die Unternehmerverbände schweigen dazu, der Gesamtschulstreit hat insgesamt an Gewicht verloren.

Überhaupt, wo ist die Opposition? CDU-Fraktionschef Heiko Hoffmann macht nicht den Eindruck, daß er den Kurs seiner Fraktion bestimmt: Hoffmann dazu von der taz befragt: „Meine Persönlichkeitsstruktur ist bekannt. Ich werde mich in meinen Grundzügen nicht ändern.“ Hoffmann selbst beklagt nur drei Regierungsentscheidungen: die Entlassung des Generalstaatsanwaltes, der die Barschel-Ermittlungen nicht gerade gefördert hatte; die Zurücknahme der Abmahnungen von 35 Richtern, die gegen die Nachrüstung protestiert hatten, und Brokdorf). Insgesamt arbeitet die auf 27 Köpfe geschrumpfte CDU-Fraktion so, wie ein alter Hinterbänkler es vor der Wahl befürchet hatte: „Wir müßten an der Regierung bleiben, schon deswegen, weil wir doch gar keine Oppositionserfahrung haben.“

Beim Wahlrecht für Ausländer haben - neben den Grünen - die außerparlamentarische FDP und die dänische Minderheit Engholm schon links überholt. Während der erst die „Akzeptanz“ dafür in der Bevölkerung prüfen möchte, sind Südschleswigsche Wählerverband und die FDP dafür, allen Ausländern mindestens das kommunale Wahlrecht zu gewähren.

Deutliche Zeichen setzte dagegen Justizministr Klaus Klingner. Um den Ausstieg aus der Atomenergie juristisch zu erleichtern, bekommt Schleswig-Holstein ein eigenes Oberverwaltungsgericht. Beim konservativen OVG Lüneburg, das Niedersachsen gemeisam mit Schleswig-Holstein betreibt, hätten dafür wenig Aussichten bestanden. Gut auch: Das von der CDU geplante Jugendgefängnis wird nicht gebaut. Stattdessen will Klingner die Gerichte für das Prinzip „Schadensersatz statt Strafe“ erwärmen.

Mut zu unpopulären Entscheidungen hat auch Finanzministerin Heide Simonis gezeigt. Gefälligkeitsförderungen an verdiente konservative Professoren werden eingestellt: Nebenher betriebene Management-, Krebs- und Rüstungsforschung von Kieler Universitätsprofessoren soll ab 1990 ausgetrochknet werden. Und solche „Beglückungsaktionen“ soll es auch zukünftig nicht mehr geben.

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