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Ein Lauf mit immer mehr Hindernissen

■ Ungewollt schwangere Frauen bekommen in Bayern immer schwerer die soziale Indikation bestätigt / Schon mehrere Ärzte wurden verurteilt / Es stehen kaum noch staatliche oder kommunale Krankenhäuser zur Verfügung

Weg mit der sozialen Indikation! Das ist das Motto, nach dem die Allianz aus CSU, Justiz und katholischer Kirche in Bayern regiert. Weil es ihr nicht gelang, in Bonn über eine Gesetzesänderung die soziale Indikation abzuschaffen, die bei der Reform des Paragraphen vor zwölf Jahren festgeschrieben wurde, gibt man nun im eigenen Land sein Bestes. Der heute beginnende Prozeß gegen den Gynäkologen Horst Theissen, dem illegale Abtreibungen in 156 Fällen vorgeworfen werden, ist der Höhepunkt.

Zusammen mit der Lawine von Strafbefehlen gegen Frauen, die abtreiben ließen, ist dies der bislang härteste Vorstoß, um die soziale Indikation auf dem Gerichtsweg auszuhebeln. „Zur Adoption freigeben konnten Sie ihr Kind also nicht, aber es umbringen, das konnten Sie!“ bekamen die angeklagten Frauen von einem Richter am Amtsgericht Memmingen zu hören. Machen solche Richtersprüche Schule, ist die soziale Indikation bald erledigt. Im §218a ist festgelegt, daß eine Indikation entsprechend „ärztlicher Erkenntnis“ stattfindet. Aber in Memmingen maßen sich die Richter an, Jahre nach dem Eingriff besser als der Arzt beurteilen zu können, in welcher Situation sich die Schwangere befand.

Auch in anderen Bundesländern halten sich ungewollt schwangere Frauen nicht immer an den umständlichen Instanzenweg, den die Indikationslösung vorschreibt. Aber dort werden - bis auf Baden-Württemberg - die Verfahren von der Staatsanwaltschaft fast immer eingestellt: wegen „geringer Schuld“.

Der Prozeß gegen Horst Theissen ist nicht das erste bayrische Verfahren gegen einen Arzt, der abtreibt. Vier Jahre und zehn Monate Freiheitsstrafe und ein anschließendes zweijähriges Berufsverbot verhängte das Schwurgericht Nürnberg im Mai 87 gegen den Frauenarzt Ferdinando Peselli. Dieser Arzt hatte - ganz im Gegensatz zu Theissen - den Ruf eines „Schlächters“ in der Frauenszene. Eine Patientin starb unter seinen Händen, eine andere blieb nach dem Eingriff behindert. Deshalb kam Peselli vor Gericht. Sehr schell aber wendete sich das Blatt im Prozeß: es ging nur noch am Rande um seine „Kunstfehler“, in erster Linie aber um die soziale Indikation. Es wäre, so das Schwurgericht, die Pflicht Pesellis gewesen, die Indikationslage seiner Patientinnen nochmals zu überprüfen. Ein Novum in der Rechtsgeschichte wurde damit statuiert: nach der Indikationsregelung ist zwar vorgeschrieben, daß ein Arzt die soziale Indikation ausstellt und ein anderer dann den Abbruch macht, von einer Pflicht zur erneuten Kontrolle durch diesen Arzt steht jedoch nichts im Gesetz. Peselli, so die Richter, habe durch dieses Versäumnis gezeigt, daß ihm der rechte „Rettungswille“ für das ungeborene Leben fehle.

Aber nicht nur Peselli, sondern auch zwei Ärzte, die lediglich soziale Indikationen ausstellten, wurden in Nürnberg verurteilt. „Inhaltliche Knappheit, Oberflächlichkeit und Allgemeinheit“ warf das Amtsgericht Nürnberg einem Nervenarzt vor, das seien „Indikationen ohne Grund“. Das Urteil wegen „Beihilfe zu illegaler Abtreibung“: ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung und 10.000 Mark Geldstrafe. Bei einem Kollegen, dem von der Staatsanwaltschaft ähnliche Vorwürfe gemacht wurden, stellte man das Verfahren gegen eine Geldbuße von 16.000 Mark ein. Bereits nach dem Urteil gegen Peselli hatten mehrere Ärzte der Beratungsstelle von „Pro Familia“ mitgeteilt, daß sie sich angesichts der neuen Rechtslage außerstande sähen, weiterhin Indikationsgutachten auszustellen.

Einschüchterung der Ärzte und Demütigung der Frauen - so lautet die Devise. Der Instanzenweg bis zu einer legalen Abtreibung wird in Bayern systematisch zu einem Hindernislauf ausgebaut. In vielen kommunalen und staatlichen Kliniken werden Abbrüche nach der sozialen Indikation grundsätzlich nicht vorgenommen. Andere z.B. Münchner Kliniken - führen mittlerweile Indikationskommissionen ein. Wenn es einer ungewollt Schwangeren tatsächlich geglückt ist, die beiden Nachweise über eine soziale Beratung und ihre soziale Notlage zu ergattern, beginnt die entwürdigende Prozedur von vorn. Noch schlimmer ist die Lage der Frauen im Landkreis Passau. Dort wurden bis vor zwei Jahren Abtreibungen - wenn auch verschwindend weniger - durchgeführt. Dieser „Schande“ bereitete dann der CSU-dominierte Kreistag ein Ende. Jetzt sind sogar an Krankenhäusern Abtreibungen nach medizinischer Indikation verboten.

In diesem Klima findet ein frauenfeindlicher Kurs schnell Nachahmer: Die Landwirtschaftliche Krankenkasse Unterfranken gab bekannt, sie zahle nicht mehr bei sozialer Indikation. Eine Klägerin dagegen hat sich bislang noch nicht gefunden. Wohl keine Frau aus der bäuerlichen Klientel dieser Kasse wird diesen Schritt in die Öffentlichkeit wagen.

Harmonisch abgestimmt auf all diese Initiativen „für das ungeborene Leben“ gab die Bayerische Staatsregierung vor kurzem bekannt, daß sie die Richtlinien für Beratungsstellen verändert habe. Adressen von Krankenhäusern oder Ärzten, die einen Abbruch vornehmen, dürfen die BeraterInnen jetzt nicht mehr weitergeben. Die Frauen sollen diese Adressen bei den Krankenkassen erfragen. Bei der Landwirtschaftlichen Krankenkasse in Unterfranken vielleicht?

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