: Augenmaß und Vernunft für Kewenig
■ IWF-Debatte im Abgeordnetenhaus / Gemeinsamer Entschließungsantrag von CDU, FDP und SPD / Freie Meinungsäußerung nicht beschneiden / Regiermeister Diepgen will „Störer“ zur Rechenschaft ziehen / SPD rät zur Vernunft
Mit einem gemeinsamen Entschließungsantrag von Regierungskoalition und SPD-Oppostion ging gestern eine mehrstündige Debatte im Abgeordnetenhaus zur IWF- und Weltbanktagung Ende September zu Ende. In dem Antrag, der gegen die Stimmen der AL und gegen die Stimmen von fünf Abgeordneten der SPD (Barthel, Gerl, Edel aus Schöneberg, Niklas aus Wilmersdorf und Neumann aus Steglitz) angenommen wurde, begrüßt das Abgeordnetenhaus ausdrücklich, daß die Weltbanktagung in Berlin stattfindet. Schuldenerlaß für besonders arme, hochverschuldete und reformbereite Länder wird als „richtiger Schritt“ bezeichnet. Konzept und Zielsetzung müßten gemeinsam mit den betroffenen Ländern erarbeitet werden und „ökologischen, sozialen und demokratischen Prinzipen sowie dem Schutz der Menschenrechte Rechnung tragen“. Das Abgeordnetenhaus ruft die BerlinerInnen auf, die „vielfältigen Informationsangebote“ zu IWF und Weltbank wahrzunehmen und die Gäste „freundlich“ zu empfangen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung, so heißt es in der Entschließung weiter, müsse unangetastet bleiben und dürfe weder durch Gewalt, Ankündigung von Gewalt noch durch Einschüchterung beschnitten werden.
Die Alternative Liste hatte sich trotz mehrfacher, teils beschwörender Aufforderungen (FDP-Hoffmann: „Machen Sie mit, es nutzt nichts, wenn sie sich separieren“) nicht an dem Antrag der Drei-Parteien-Koalition beteiligt und einen eigenen Entschließungsantrag vorgelegt, in dem sie eine „umfassende globale Schuldenstreichung als ersten Schritt in die richtige Richtung“ fordert. Der Abgeordnete Seiler griff in der Debatte vor allem die SPD heftig an und warf den Sozialdemokraten vor, Anträge zu unterzeichnen, in denen noch nicht einmal die Verfehlungen des politischen Gegners aufgeführt würden. Die Armut der Dritten Welt sei das Ergebnis der Politik der konservativen Regierungen in den Industrieländern, sagte Seiler. Er nannte es eine „Heuchelei“, wenn jetzt, wie dies Senator Pieroth in seiner Rede ausgeführt hatte, die Schuld an der Armut der Kapitalflucht der Oligarchien in den armen Ländern gegeben würde.
In seiner Rede zu Beginn der Abgeordnetenhaussitzung hatte der Regierende Bürgermeister Diepgen der Tagung von IWF und Weltbank in Berlin noch einen ganz anderen positiven Effekt abgewonnen. Nicht nur politisch sei die Tagung bedeutend, sie unterstreiche auch Berlins Bedeutung als Dienstleistungszentrum. Zum Abschluß seiner Rede betonte Diepgen, daß „Störer und Gewalttäter zur Rechenschaft“ gezogen würden. Die Sicherheit und Ordnung sei für den Senat kein Thema, über das lauthals geredet werden sollte.
Finanzsenator Rexroth wiederum betonte, daß die 10 Mio. DM, die Berlin die Tagung koste, kaum anderswo so effizient angelegt seien. Sie kämen über Aufträge ausschließlich der Berliner Wirtschaft zugute.
Dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, Momper, war es ein
Anliegen, daß bei den „notwendigen Sicherheitsvorkehrungen“ während der Tagung die „Verhältnismäßigkeit der Mittel“
gewahrt bliebe. Er forderte Innensenator Kewenig auf,
„Augenmaß und Vernunft“ walten zu lassen. Der SPD
-Abgeordnete Lorenz befand, wer beispielsweise anti
-imperiaFortsetzung auf Seite 18
FORTSETZUNG VON SEITE 15
listische Stadtrundfahrten kontrolliere, schade dem Staat und der Polizei. Er verteidigte Aktionen, die Kritik am IWF zum Ausdruck bringen, als „Empörung, die aus dem Herzen“ kommt. Man müsse trennen zwischen dem „berechtigten Protest“ und den „Chaoten“. Der Senat müsse deutlich machen, daß er den „berechtigten Protest“ akzeptiere und schütze, sonst käme es zu einer „Vermengung“ der beiden Gruppen.
Der Fraktionsvorsitzende der AL, Wieland, warf der SPD vor, zum „Tanz der Vampire die Distanzierungspolka“ zu spielen. Gleichzeitig erklärte Wieland noch einmal, an die Adresse der CDU gerichtet, die gegen die Politik des IWF gerichteten Aktionen seien phantasievoll und von vielen getragen. Den Vorwurf der CDU, die AL würde mit der Unterstützung des Gegenkongresses und der Gegenveranstaltungen zu „Terror“ aufrufen, konterte Wieland: „Phantasie ist das Gegenteil von Gewalt.“
bf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen