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Nachruf: Guy Hocquenghem ist tot

In Paris ist letzte Woche, wenige Tage nach Jean-Paul Aron, vier Jahre nach Foucault, ein weiterer bekannter Intellektueller an Aids gestorben: Guy Hocquenghem (im Bild links neben Foucault, 1970). Anders als Aron hatte er zwar seine Homosexualität, nicht aber seine Krankheit bekannt. Sie war dennoch ein offenes Geheimnis. In einer „Apostrophes„-Sendung im letzten Jahr konnte das interessierte Publikum sie an seinem eingesunkenen Gesicht ablesen. Hocquenghem weigerte sich einfach, die Krankheit beim Namen zu nennen. Den Interviewfragen danach sperrte er sich: „Meine Antwort ist, daß diese Art Fragen niemals gestellt werden dürften. Das sind inquisitorische Polizeimethoden.“ In seinem letzten Roman („Eve“, 1987 bei Albin Michel) beschreibt er, so genau es geht, die Symptome der Krankheit, aber auch hier ohne sie zu nennen.

Hocquenghem hatte 1970 das große Coming Out der Schwulen in Frankreich eingeleitet. In einem Gespräch mit dem „Nouvel Observateur“ sprach der damals 25jährige über seine Knabenliebe und machte Skandal: „Es gibt keine Homosexualität ohne Bekenntnis.“ Er blieb einer der streitbarsten Intellektuellen in Paris. Sein wildestes Pamphlet, „Lettre ouverte a ceux qui sont passes du col Mao au Rotary“ (Albin Michel, 1985), hielt den 68er Maoisten den Gluckmanns - den Spiegel vor, und jeder konnte sehen, wie sie sich vom Zeitgeist haben aufweichen lassen. Dafür wurde Hocquenghem verhöhnt und verlacht. Auch als es ein „must“ war, wurde Hocquenghem nicht zum zähnefletschenden Antikommunisten und Force-de-Frappe-Apologeten. Gegen den gefährlichsten Virus in der Pariser Szene - unausrottbar der der Mode - war er immun. Nach Glasnost ist es um die neumodischen Kommunistenfresser in Paris ziemlich still geworden. Wahrscheinlich wissen sie nicht mehr, was sie denken sollen, und wahrscheinlich lesen sie jetzt Hocquenghem. (Das einzige in deutsch lieferbare Buch Hocquenghems ist bei Hanser erschienen: „Das homosexuelle Begehren“.)

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