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Hirschhornknopf gegen Mikrochip

Zwei SPD-Landesfürsten kämpfen um die Spitzenkandidatur bei den bayerischen Landtagswahlen 1990 / Glotz erringt Heimsieg über Hiersemann  ■  Aus Ingolstadt Luitgard Koch

Die erste Runde im Rennen um die Spitzenkandidatur der bayerischen Sozialdemokraten bei den Landtagswahlen in zwei Jahren wurde am vergangenen Mittwoch im oberbayerischen Ingolstadt ausgetragen. Mit Spannung wurde dieses erste Zusammentreffen der beiden „Giganten“, Peter Glotz, seit Oktober vergangenen Jahres SPD-Bezirksvorsitzender von Südbayern, und dem SPD-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Karl-Heinz Hiersemann, im vollbesetzten Saal des Ingolstädter Bräustüberls erwartet. Der Herausforderer und ehemalige Bundesgeschäftsführer Glotz war nach der Niederlage beim vergangenen SPD-Bundesparteitag von Münster angeschlagen. Im Gegensatz zu Hiersemann wurde er nämlich nicht mehr in den Parteivorstand gewählt. Deshalb ging es nun für den 49jährigen darum, wenigstens in seinem eigenem Unterbezirk wieder an Boden zu gewinnen. Unbeliebt hatte sich der „flinke Intellektuelle“ bei der Basis vor allem durch sein Eintreten für die ketzerischen Thesen Oskar Lafontaines gemacht. Die 159 Delegierten aus der Region Ingolstadt, wußten jedoch, was sie ihrem Chef schuldig sind. Mit 94 von 152 abgegebenen Stimmen ging Glotz bei einer Abstimmung gestärkt aus dieser Versammlung.

Dieses positive Votum ist angesichts der Tatsache, daß gerade im Ingolstädter Raum durch den alles beherrschenden Betrieb des Automobilherstellers Audi auch sehr viele Gewerkschafter das SPD-Parteibuch in der Tasche haben, nicht zu unterschätzen. Zunächst jedoch schien die Stimmung nicht eindeutig pro Glotz. „Wennsd aus der Wagenburg ausbrichst und i muaß dann Samstag, Sonntag oabatn, brichst lieba alloa aus“, so einer der Delegierten. Viele wollten aber auch einfach der „Kontinuität“ halber, Hiersemann war als „neue Kraft“ im vergangenen bayerischen Landtagswahlkampf 86 angetreten und hatte mit 27,5 Prozent das schlechteste Ergebnis der SPD seit 1946 eingefahren, den schwergewichtigen Erlanger Rechtsanwalt wieder als Spitzenkandidaten ins Rennen schicken.

„I wunder mi sowieso, daß mir des Glück ham, daß mir zwischen zwoa Kandidat'n auswähln kenna, i hob gloabt, bei dem Zustand unserer Partei find ma gar neamand“, sorgte der 50jährige Delegierte Manfred Vogger aus dem Landkreis Pfaffenhofen für Heiterkeit im Saal. Tatsächlich kam die Kandidatur von Glotz Anfang Juli dieses Jahres für viele überraschend und erzeugte anfangs böses Blut unter den Genossen. Besonders der SPD-Bundestagsabgeordnete und SPD -Chef des zweitstärksten Bezirks Niederbayern und Oberpfalz, Ludwig Stiegler, hatte sich auf den Genossen Glotz eingeschossen. Da war von Bierzelten, die dieser leerpredigen werde, die Rede.

„Ich bin sehr dafür, daß wir an Traditionen und Volkskultur anknüpfen, aber geistig und nicht mit Werbeagentur und weißblauem Fitzliputzi“, verwahrte sich Glotz ausdrücklich gegen weißblauen Populismus. Aber auch Hiersemann schloß sich dem an. Während Glotz das Heil der SPD in den städtischen Mittelschichten, bei den Intellektuellen und den seiner Meinung nach von der Partei sträflich vernachlässigten Kulturschaffenden sieht, plädierte Hiersemann für einen besseren Ausbau und mehr Schwung bei den Ortsvereinen. Das Schielen nach Koalitionen mit der FDP oder gar den Grünen, wie Glotz es andeutete, lehnte der Oppositionsführer ab.

„Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, daß wir - während die CSU München zum Mikroelektronikzentrum ausbaut - als bayerische SPD zur Beschwörung des Hirschhornknopfes übergehen“, versuchte Glotz nochmals in den Saal zu donnern. „I hob mei Trachtenjackn glei versteckt“, witzelte Vogger nach der Versammlung. Ganz wegnehmen lassen wollen sich die Genossen auf dem flachen Land ihren Trachtenanzug nicht. Trotzdem ist das gestrige Votum kein eindeutiger Erfolg für Glotz. Die SPD-Hochburg Franken bestimmt den Spitzenkandidaten auf dem Sonderparteitag im Februar 1989, und dort regiert der Landesfürst Hiersemann.

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