: Friseur plaudert weiter aus
■ Philosophisches zu Doppellocke und Doppelstrategie, daß einem die Brennschere mehrmals aus der Hand auf den Marmorboden kracht
Mir ist die Brennschere aus der Hand gefallen, sagte der Friseur am Geheimtelefon, durch das ich mit ihm verbunden bin. Und dabei war ich gerade mitten im Doppellockenlegen, das ist der letzte Schrei, verstehtst du?
Ich verstand gar nichts, weil ich einfach zu wenig Haare dafür habe. Also Doppellocken, das macht man heute so, da wird eine Locke sorum gebrannt, und die andere andersrum. Aha, sagte ich schläfrig, denn der Friseur hatte schon wieder kurz nach acht angerufen. Und warum ist dir jetzt die Brennschere aus der Hand...
Der Friseur kicherte wie ein kleiner Junge: weil es in der Senatsrunde plötzlich ganz philosophisch wurde. Die haben doch tat
sächlich dialektisch gedacht, also nach dem Motto wie-du -mir, so-do-mie. Und warum, fragte ich. Langsam begann mich die Sache zu interessieren. Es gibt doch eine Doppelstrategie, flüsterte der Friseur, und die lautet: Flucht vor der Öffentlichkeit (also: Aussitzen, Wegducken, Augen zu, Kopf runter) oder Flucht in die Öffentlichkeit (also: hier stehe ich und kann nicht anders). Jetzt endlich fiet bei mir der groschen und ich setzte mich im Bett auf.
Die haben doch den Untersuchungsausschuß im Geiseldrama nur deshalb eingesetzt, weil sie meinten, daß sei der bessere Weg der Vertuschung. Ja, ja, dachte ich laut, denn im Untersuchungsausschuß haben sie ja die Mehrheit, damit nichts rauskommt. Da war der Friseur einen Monemt still, und ich hörte, wie ihm jetzt wohl zum zweiten Mal die Brennschere auf den Marmor krachte. Politik, setzte ich ganz philosophisch an, heißt ja nicht nur denken, sondern weiterdenken.
Zwei Minuten später fragte der Friseur, ob ich denn noch weiteres aus der Senatsrunde hören wolle. Ich antwortete: aber im
mer. Also, fing der Lockenbrenner an, da hat die Gesundheitssenatorin doch tatsächlich gefragt, wie so ein politisches Süppchen, wie es jetzt gekocht wird, schmeckt. Weil sie wohl so viele noch nicht ausgelöffelt hat. Und der Kunstsenator bekam einen roten Kopf, weil ihn alle angesehen haben (der ist ja ein absoluter Feinschmeck in Sachen politisches Süppchen). „Das kommt drauf an, ob man die Suppe bereitet oder löffeln muß“, meinte der Kunstsenator, dessen Haupthaar keiner Richtung mehr bedarf. Das hatte die Kollegin Gesundheit nicht verstanden und ließ Kunstfranke und frei reden.
„Wenn jetzt der Metz(ger) von der CDU unserm Geisel-Meyer auch noch vorwirft, er sei zu liberal gewesen bei der Volkszählung, dann, ja dann würzt die Suppe zu scharf und keiner mag sie mehr essen.“
Das beeindruckte mich tief, denn ich hatte noch nie das Vergnügen, an einem Senatsessen teilzunehmen. Vielleicht, und da dämmerte mir etwas, wär das ja die Lösung für die Geisel-Dra- ma-Untersuchung. Dafür, daß
asu dem Ausschiß nichts rauskommt, gibt es eine freie Verkostung von politischen Süppchen auf dem Marktplatz, für alle Kritiker und solche, die es werden wollen.
Aber davon sagte ich dem Friseur nichts. Nachher trägt er es wieder in die Senatsrunde zurück, und wir haben es alle auszulöffeln.
Bis dann Euer Friseur befrager Al
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