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ZUGRIFF AUF BETON

Mit dem Blümchenvollsynthetikhäkelbeutel ums Handgelenk, nahm sie den täglichen Einkauf in Angriff. Ihr Aufzug war unkonventionell: Die zehenseitig ausgebeulten Pantoffeln waren nach Bequemlichkeit gewählt und der praktische Gummizugrock machte die Schürze überflüssig, die um die Leibesfülle nur umständlich zu binden war. Die Strickjacke hielt warm, schließlich war das Marschziel das Angebot des Supermarkts.

Die U-Bahn-Station war erst vor kurzem renoviert und mit hellen Kacheln verziert worden. Hübsch eigentlich, freundlich. Überraschend stand jetzt ein graues Bauwerk auf dem Bahnsteig, was sie bei näherem Hinsehn klar als Kunst erkannte.

Eine kleine Treppe erhob sich ohne Anlaß ins Nichts. Figuren, gesichtslos, in jugendlich aufrechter Haltung schienen auf- und abzusteigen. Die Treppe war schmaler als eine richtige und die Figuren klein, fast zierlich, passend zur Treppe – aber aus was? Ein leiser Luftzug und ansteigende Geschäftigkeit auf dem Bahnsteig Spichernstraße ließ ahnen, daß der Zug bald einfahren würde. Sie überlegte, ob die Kunst hier ganz frei rumstehe, oder ob sie bewacht würde, wie das bei Kunst eigentlich immer ist. Außerdem hatten die doch Video. Ob sie mit Schimpf aus dem Lautsprecher rechnen mußte? Der Zug dröhnte, die Bremsen quietschten, die Wartenden liefen zur Bahnsteigkante, der BVGler hatte zu tun. Jetzt oder nie! Sie tat einen entschlossenen Schritt auf die Skulptur zu, kniff ihr fest in die Schulter, registrierte: Beton!

Mit triumphierender Tanzstundeneleganz drehte sie sich fliegenden rocksaums von dem Stück ab und versicherte sich mit gut kontrollierter Alltagsmiene, daß es keiner gesehen hatte.

Sabine Weißler

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