piwik no script img

„Ein tolles Chaos“

■ Schwere Koordinationsfehler bei Katastrophenschutzübung „Kleeblatt“

„Deutlich spürbar“ war für Innensenator Kewenig schon vor Ende der Katastrophenschutzübung „Kleeblatt“ die Bereitschaft der rund 2.500 Beteiligten, „sich den Aufgaben mit vollem Einsatz zu stellen“.

Für ihn und die zentrale Einsatzleitung ein Glück. Denn nur die hohe Motivation bei den meist freiwilligen Helferinnen und Helfern, offensichtlich auf die Eindrücke nach den schlimmen Unfällen z.B.in Herborn oder Ramstein zurückzuführen, verhinderte bei der Katastrophenschutzübung ein Desaster durch Führungs- und Kommunikationsfehler. „Tja, in Wirklichkeit wäre ich wohl schon längst tot“, sinnierte eines von rund 300 zum Teil mit furchterregend echt geschminkten „Unfallopfern“ am Samstag gegen 13 Uhr. Ihm waren laut Drehbuch bei einer Explosion in einem Wohnhaus, gespielt in der britischen Fighting City in Ruhleben, gegen elf Uhr beide Beine abgerissen worden, hoher Blutverlust nebst Schock hätten sofortige Behandlung erfordert.

Der Sanitätszug des Arbeiter-Samariterbundes kam aber um rund zwei Stunden zu spät. Er sei von der Zentrale „im Stadtgebiet fehlgeleitet“ worden, hieß es zur Begründung bei der Technischen Einsatzleitung, die vor Ort in Ruhleben den Einsatz zu koordinieren versuchte.

Genaues wisse man aber nicht, weder von der übergeordneten Abschnittsführungsstelle (vier davon gibt es in Berlin, eine pro Himmelsrichtung) noch vom Zentralen Stab. Als die Retter schließlich eintrafen, wäre es in der Realität nicht nur für den Beinlosen zu spät gewesen.

Allein am Übungsort Ruhleben, wo zusätzlich noch ein Tanklasterunfall mit Explosionsgefahr durch auslaufendes Benzin und freiwerdender Radioaktivität durchgespielt wurde, hätte es, wie die Opfer- Darsteller auf Befragen einräumten, wohl ein halbes Dutzend Mal für die Diagnose „Exitus“ gereicht, wie auch Thomas Werner vom Direktionsstab der Feuerwehr bestätigte. Kein Beinbruch für die Retter: Der eingetretene Tod schreckte sie nicht, sie behandelten die Verletzten voller Eifer weiter nach Drehbuch und lieferten sie nach der Erstversorgung lebend im Klinikum Westend ab.

Dort saßen rund 150 Ärzte und Pfleger, die um 9.43 Uhr alarmiert und zum Teil von zu Hause in die Klinik zitiert worden waren, geschlagene drei Stunden herum und drehten Däumchen.

Erst um 12.45 Uhr kamen die ersten „Unfallopfer“ auf die fünf Operationstische, allerdings die falschen: „Wir sollten laut Übungsplan Patienten von den Übungsorten Ruhleben und Westhafen (dort wurde eine Explosion mit Giftgasaustritt gespielt) bekommen.

Gebracht wurden aber welche vom Übungsort Deutsche Oper, wo ein U-Bahnunglück simuliert wurde“, berichtet der stellvertretende ärztliche Direktor, Prof. Reinhard. Er hatte bis 14 Uhr, kurz vor Übungsende, an die 100 Übungsverletzte gezählt, nach Plan sollten es nur 60 sein. Zwar reichte die OP-Kapazität gerade noch aus, jedoch „wären fünf bis zehn Verletzte tot gewesen“, berichtete ein Pfleger.

Wie man das radioaktiv verstrahlte Opfer vom Unglücksort in Ruhleben behandeln sollte, war in dem darauf nicht eingerichteten Krankenhaus ebenfalls ein Problem. Der technische Leiter Kranki stellte außerdem fest, daß durch eine unzureichende Patientendokumentation überhaupt nicht mehr nachvollziehbar war, ob und welcher Patient sich in welchem Zustand wo im Krankenhaus befand - „ein totales Chaos“, urteilte eine leitende Krankenpflegerin.

Schwere Führungsmängel wurden auch vom Übungsort Deutsche Oper bekannt, wo „Schwerverletzte“ stundenlang auf den Malteser-Hilfsdienst warteten. Trotz dieser Mängel und trotz der Kritik der „Arbeitsgruppe Berliner Krankenpflegekräfte“, die eine Überlastung der personell unterbesetzten Krankenhäuser befürchtete, sprachen Beteiligte auf allen Ebenen von der „hervorragenden Arbeit“ der eingesetzten Helferinnen und Helfer. Auch im Klinikum Westend, dessen Personalrat sich kritisch gegen die Übung gewandt hatte, berichtete Prof. Hildebrand, daß es „keinerlei Schwierigkeiten“ mit dem Personal gab.

Thomas Rogalla

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen