: Spanische Pazifisten total dagegen
Kriegsdienstverweigerer lehnen auch Zivildienst ab / Neues Gesetz verschlechtert ihre Situation ■ Aus Madrid Antje Vogel
27.377 spanischen Kriegsdienstverweigerern ging es bis jetzt gut: Da es kein gültiges Gesetz über Wehrdiensverweigerung und Ersatzdienst gab, waren fast alle Verweigerer seit 1985 anerkannt worden, und in Ermangelung einer Regelung über Zivildienst wurden sie auch zu keiner anderen Zwangsarbeit herangezogen. Zwar wurde Anfang dieses Jahres ein Gesetz zur Wehrdienstverweigerung verabschiedet und soziale Organisationen ausgeguckt, die Zivildienstleistende aufnehmen, jedoch erwartet man in Madrid, daß noch im September die 27.377 davon befreit werden, da sich der Prozeß zu lange hingezogen hat.
Doch wenn es nach dem Willen des MOC, der „Bewegung der Gewissensverweigerer“, geht, werden die Verweigerer diese angenehme Entwicklung ignorieren und sich in neue Schlamassel stürzen. Auf einer Versammlung von etwa 60 Delegierten der verschiedenen MOC-Gruppen Spaniens, die jüngst in Madrid stattfand, beschloß die Bewegung, im Rahmen einer breitangelegten Kampagne, die anerkannten Kriegsdienstverweigerer dazu aufzurufen, ihre Anerkennung zu widerrufen und sich der Musterung zur Verfügung zu stellen, um nach der Einberufung erneut zu verweigern.
Was wie reiner Masochismus aussieht, hat konkrete Hintergründe. Das im Januar verabschiedete Gesetz zur Wehrdienstverweigerung lehnt sich an Modelle in anderen westeuropäischen Ländern an und verschlechtert die Situation der Verweigerer erheblich. Statt wie bisher eine formlose Erklärung abzugeben, müssen die Verweigerer nun gegenüber dem neu eingerichteten „Nationalrat für Gewissensverweigerung“ (CNOC) eingehend ihre Entscheidung begründen, politische Gründe dürfen dabei nicht geltend gemacht werden. Verweigert werden darf nur bis zu zwei Monate vor der Einberufung oder nach dem Militärdienst.
Was dazwischen liegt, gilt als Desertion. Der CNOC hat das Recht, Nachforschungen darüber anzustellen, ob das Privatleben des Verweigerers mit seinen Angaben übereinstimmt. Der Zivildienst dauert 18 Monate, sechs Monate länger als der Kriegsdienst, und kann (durch Disziplinarstrafen) bis auf 24 Monate verlängert werden. Er soll in karitativen und sozialen Bereichen geleistet werden.
Die verschiedenen spanischen Verweigerergruppen, von denen der MOC die zahlenmäßig stärkste und älteste ist, stehen in Frontalopposition zu dem neuen Gesetz. Der Zwang, ihre Verweigerungshaltung persönlich zu begründen, ist für sie ein Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte, die sechs Monate längere Dauer des Zivildienstes eine Bestrafung und Versuch der Abschreckung der Verweigerer und der Zivildienst an sich eine Vorbereitung für Hilfeleistungen hinter der Front. Die Totalverweigerung, die bis Anfang des Jahres einfach war, da es keinen Zivildienst gab, wird nun zum politischen Ziel. Der MOC fordert nun die Verweigerer auf, keine persönlichen Begründungen für ihre Ablehnung anzugeben und damit den CNOC zu ignorieren. Anerkannte Verweigerer sollen den Zivildienst nicht antreten, abgelehnte sollen bei Antritt des Militärdienstes erneut verweigern und damit riskieren, ins Militärgefängnis zu geraten. 1.500 sollen seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes nur eine formale Verweigerungserklärung abgegeben haben und somit riskieren, nicht anerkannt zu werden. Weitere 31 halten sich zur Zeit nach Angaben des MOC versteckt, da sie während des Militärdienstes verweigert haben und deswegen als Deserteure gesucht werden. Damit die ersten abgelehnten Verweigerer, die vermutlich ab kommenden Januar den Militärdienst antreten müssen, nicht allein die Faust des Gesetzes zu spüren bekommen, fordert nun der MOC die anerkannten Verweigerer aus den Jahren vor 1987, die keine Einberufung mehr zu befürchten brauchen, auf, ihre Anerkennung zu widerrufen und - nach Einberufung zum Militärdienst - erneut zu verweigern. Damit würde sich die Zahl der „Deserteure“ erheblich erhöhen und eine Verfolgung durch die Behörden erschwert. Nach Angaben des MOC haben bislang etwa 600 ihre Anerkennung widerrufen. Eine Reaktion seitens der Behörden steht allerdings noch aus.
Unterstützung erwartet sich die Gruppe von „amnesty international“ und internationalen pazifistischen Gruppen. In der Ablehnung des Zivildienstes sollen ihnen die Gewerkschaften zur Seite treten. In einem Fall, bei der geplanten Einrichtung von Zivildienststellen im sozialen Dienst der Bahn, hat das bereits funktioniert: Der Betriebsrat weigerte sich, Zivildienstleistende aufzunehmen, da die Gefahr besteht, daß durch diese billigen Arbeitskräfte reguläre Arbeitsplätze wegrationalisiert werden - in einem Land mit hoher Arbeitslosigkeit wie Spanien ein schlagendes Argument.
Einer machte zur Zeit das durch, was eventuell die Zukunft vieler sein wird: Jose Manuel Fierro, 22 Jahre alt, sitzt seit Anfang Juli im Militärgefängnis von Alcala de Henares in Isolationshaft. Nach zwei Monaten Militärdienst hatte er die Nase voll und verließ die Kaserne. Als Deserteur kann er zu drei bis sechs Monaten Knast verurteilt werden. Danach muß er den Militärdienst beenden. Wenn er sich weigert, kann er zu ein bis sechs Jahren Knast verurteilt werden. Da sich Jose Manuel Fierro weigerte, im Knast eine Uniform anzuziehen und sich die Haare schneiden zu lassen, wurde er über einen Monat ohne Matratze und ohne Kleidung in der Zelle gelassen. Nach einer Protestaktion des MOC, die in der Presse lebhaftes Echo fand, hat sich seine Situation inzwischen etwas gebessert, jedoch sitzt er noch immer in Isolationshaft.
Man darf gespannt sein, wieviele Jose Manuels sich die spanische Regierung leisten kann und will.
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