piwik no script img

„Grundsicherung“ für die ABM-Szene

■ Bremer Arbeitsamt empfiehlt Widerspruch gegen elternabhängig bewilligte Arbeitslosenhilfe / Nach BSG-Urteil muß volle Alhi an alle gezahlt werden / AGAB: „Eltern haften nicht mehr für ihre Kinder“

„Ich würde jedem empfehlen, gegen unseren Bescheid Widerspruch einzulegen.“ Diesen guten Tip, der für Arbeitslose viele tausend Mark wert sein kann, äußerte der Leiter der Leistungsabteilung im Bremer Arbeitsamt, Lothar Eckert, gestern gegenüber der taz. Der Grund für den unge

wöhnlichen und offenherzigen guten Rat des Arbeitsamtes ist eine Entscheidung des Kasseler Bundessozialgerichts (BSG) vom vergangenen Mittwoch. Danach entfällt in Zukunft die Bedürftigkeitsprüfung bei der Berechnung der Arbeitslosenhilfe (Alhi) (vgl. taz vom 8.9. und heute auf S.2).

Für einen großen Teil der Bremer ABM-Szene bedeutet die Kasseler Entscheidung eine Grundsicherung auf Dauer. Wer z.B. für ein Jahr als ABM-Kraft 2.000 Mark netto verdient hat und anschließend sechs Monate das Arbeitslosengeld in Höhe von ca. 1.300 Mark bezog, fällt danach

nun nicht mehr in ein schwarzes Loch. Denn rutschte bislang für viele Arbeitslose die Alhi durch Anrechnung des hohen Einkommens der lieben Eltern (oder sogar der vielverdienenden Kinder) unter den Sozialhilfesatz, muß die Stütze in Zukunft an alle in voller Höhe gezahlt werden. Unserem ABM-Akademiker müßte das Arbeitsamt dann ca. 1.100 Mark monatlich zahlen - bis zum Lebensende, falls ihm keine angemessene Arbeit vermittelt werden kann.

Unklar ist die Situation nach dem BSG-Urteil für verheiratete und geschiedene Alhi-BezieherInnen. Um ihr Recht, die Arbeitslosenhilfe unabhängig vom Einkommen des (Ex-)Ehegatten zu beziehen, wird noch vor Gericht gestritten werden. Ebenso unsicher ist die Lage für Arbeitslose, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Für sie könnte nach dem BSG-Urteil das Arbeitsamt auch in Zukunft eine Unterhaltspflicht der Eltern geltend machen, wenn sie nachweislich auf Dauer am Arbeitsmarkt unvermittelbar sind. Andererseits könnte das BSG-Urteil langfristig auch die Bedürftigkeitsprüfung bei der Berechnung von Sozialhilfe ins Wackeln bringen.

Die Bremer „Arbeitsgemein

schaft arbeitsloser Bürger“ (AGAB) freute sich gestern öffentlich über die BSG-Entwcheidung: „Eltern haften nicht mehr für ihre Kinder!“ Die AGAB rät wie das Arbeitsamt allen Antragstellern auf Arbeitslosenhilfe, gegen den elternabhängigen Bewilligungsbescheid Widerspruch einzulegen. Ist die Widerspruchsfrist bereits abgelaufen, kann ein „Antrag auf Neuberechnung“ gestellt werden. Rückwirkende Forderungen haben jedoch wenig Aussicht auf Erfolg.

Für den Grünen Sozialpolitiker und Verfechter einer „Grundsicherung“ von 1.200 für alle BewohnerInnen der Bundesrepublik, Horst Frehe, ist die Neuregelung nach dem BSG-Urteil „noch weit entfernt“ von seinen Wunschvorstellungen. „Es ist aber ein schöner Schritt in die richtige Richtung“, fügte er hinzu.

Genauere Informationen über die neue Rechtslage gibt die AGAB auf einer Veranstaltung am Donnerstag. Dann wollen sich auch die MitarbeiterInnen der zahlreichen Bremer Arbeitslosen-Beratungszentren über das weiter Vorgehen einigen. Am Donnerstag, 20 Uhr bei der AGAB Grenzstr. 122

Dirk Asendorpf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen